Um das Schlechte vorweg zu nehmen: Natürlich hat die WM 2006 den ein oder anderen Fluch mit sich gebracht. Da wäre allen voran die Erfindung der Fanmeile mit ihrer Schwester, dem Public Viewing. „Fans“ wurden zu Groupies, Fußball zum Event. Wie man Fußball außerhalb eines Stadions live mit mehreren eigentlich Uninteressierten sehen kann, ist mir ein Rätsel. Denn es ist eine Kunst, den richtigen Partner zum Fußball gucken zu finden. Eine Suche, die mindestens so schwierig ist wie die nach der perfekten Ehefrau. Nichts sagen, wenn man nichts sagen sollte. Das Kräuterbaguette mitbringen, obwohl man nicht weiß, dass es fehlt. Den Krautsalat kaufen, weil der andere ihn mag. Das sind die kleinen Dinge, die Freundschaften und Ehen zu einer großen Sache machen.
Und da schließt sich der Kreis. Denn wenn von der Weltmeisterschaft im eigenen Land mit all ihrer Pracht und Schönheit etwas hängen bleibt, dann ist es für mich eine wunderbare Männerfreundschaft. Warum das jetzt Thema ist? Weil mein Fußballfreund (der irgendwann mein Trauzeuge wurde) in diesen Tagen die Stadt verlassen und nach Wien gehen wird. Weil ich das verarbeiten muss. Weil er eine Hommage verdient hat. Und weil der Fernsehturm in Stuttgart ohne das Sommermärchen niemals in der „11 Freunde“-Hitliste aufgetaucht wäre.
Degerloch – Ein Stadtteil, der für ein Stadion steht
Direkt vor dem Turm steht das Stadion der Stuttgarter Kickers, das man früher einfach unter dem Namen des Stadtbezirks „Degerloch“ kannte. So wie der Name Bökelberg für Mönchengladbach, die Hafenstraße für Essen und die Lohrheide für Wattenscheid stand.
Von der Besucherplattform des 216 Meter hohen Fernsehturms konnte man Mannschaften wie Spanien oder England während der WM 2006 in Degerloch trainieren sehen. „Einmal hat sogar ein Trainer gefilmt“, berichtete ein Techniker der 11 Freunde und auch heute noch sehen sich Fans der Kickers gerne ein Spiel von oben an. Nicht selten sind es Stadionverbotler.
Bei unserem Besuch in der Landeshauptstadt bietet sich die Gelegenheit ebenfalls. Spitzenreiter Heidenheim tritt bei den Kickers an, der Gastgeber holt am Ende einen Rückstand auf und feiert ein 3:3. Vom Fernsehturm aus können wir das Spiel nicht verfolgen; aufgrund einer Verfügung der Stadt ist das Bauwerk geschlossen, irgendwelche Brandschutzrichtlinien sind nicht mehr up to date.
Das überrascht aufgrund deutscher Präzision irgendwie, auf der anderen Seite auch wieder nicht. Denn der Fernsehturm ist der älteste der Welt und steht bereits seit 1956 hier.
Ohne Fußball gäbe es keinen Fernsehturm
Einer der Gründe für seine Entstehung war auch eine Weltmeisterschaft, nämlich die von 1954. Der Fernsehempfang im Stuttgarter Talkessel war katastrophal und schon die Krönung der englischen Königin Elisabeth II. im Jahr 1953 konnte man – wenn man denn einen Fernseher besaß – nicht verfolgen. Zum „Wunder von Bern“ war der Turm zwar noch nicht fertiggestellt, er versorgt aber seit dem Oktober 1955 den Großraum Stuttgart (wenn auch seit Sommer 2006 nur noch mit UKW- und DAB-Hörfunkprogrammen).
In dem Buch „Stuttgart feiert die WM“ erinnern Massen von Fotos an das Turnier und zeigen ein Deutschland, das sich vollkommen neu präsentiert und an Image gewonnen hat. Sie hatten auch ihr Gutes, die Fanmeilen und mit ihren lebensbejahenden Botschaften. Um das Positive ans Ende zu stellen.
Anschrift: Jahnstraße 120, 70597 Stuttgart
Internet: https://www.fernsehturm-stuttgart.de
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