„Kaum ein Zeitzeuge“, sagt der langjährige Spiegel-Autor Jürgen Leinemann im Kicker, „hat so sorgfältig die Details des eigenen Lebens zusammengetragen, hat Notizen, Briefe, Berichte und Andenken in geradezu beängstigender Perfektion gesammelt.“ Leinemann muss es wissen. Er hat den Nachlass Sepp Herbergers, der in den DFB-Archiven in Frankfurt gehütet wird, gesichtet und die Biographie „Ein Leben, eine Legende“ verfasst. Aus einem Bestand von 361 Ordnern, voll mit Protokollen und Dossiers.
Man wird Josef Herberger mit wenigen Sätzen auf keinem Fall gerecht. Selbst „Wikipedia“ (mag man darüber denken, was man will, aber für einen komprimierten Eindruck ist die Seite gut geeignet) haut 27 Seiten aus dem Drucker. Diejenigen, die sich kurz fassen müssen, beschränken sich daher in großen Teilen auf die Trainerlaufbahn des „Magiers“. Da die „11 Freunde“ in den Mannheimer Stadtteil Waldhof und damit zur Geburtsstätte Herbergers bitten, beginnt unsere Reise bereits in der Kindheit.
Als junger Mann im Ersten Weltkrieg
Herberger stammte aus ärmlichen Verhältnissen, war ein „Arme-Leute-Kind“ (100 Jahre DFB), sein Vater ein Tagelöhner. Herberger verlor ihn bereits mit zwölf Jahren. Der Fußball nahm bereits damals eine wichtige soziale Rolle ein. Vermutlich 1911 wechselte Sepp Herberger vom KJV Mannheim zum SV Waldhof, für den er bereits 1914 mit 16 Jahren in die erste Mannschaft berufen wurde. Zwei Jahre später wurde Herberger in die Armee eingezogen und kehrte im Januar 1919 unversehrt aus dem Krieg zurück.
Die Karriere Herbergers wurde durch die Zwangspause nicht negativ beeinträchtigt. 1921 absolvierte er das erste seiner drei Länderspiele. Es wären mehr geworden, hätte man ihn aufgrund einer Wechselsperre nicht für ein Jahr aus dem Spielbetrieb gezogen, zudem fanden Mitte der Zwanzigerjahre aus Kostengründen kaum Länderspiele statt. Der größte Erfolg seiner Laufbahn sollte die Südmeisterschaft 1925 mit dem VfR Mannheim bleiben. Durch sein Studium in Berlin spielte er ab 1926 für Tennis Borussia.
Obwohl Sepp Herberger dem Vernehmen nach alles andere als ein durchschnittlicher Spieler war, erlangte er erst durch seine Fähigkeiten als Trainer großen Ruhm. Nach Abschluss seines Studiums zum Diplom Turn- und Sportlehrer beendete er 1930 seine aktive Karriere, übernahm erst TeBe, dann den Westdeutschen Spielverband. Durch die Machtübernahme der Nationalsozialisten, die Neustrukturierung des Sports und die Auflösung des Westdeutschen Spielverbands assistierte er erst Reichstrainer Otto Nerz und wurde im Mai 1938 endgültig dessen Nachfolger. Seine erste WM 1938 endete aufgrund politischer Einflüsse – der zwanghaften Einbindung von Ostmark-Spielern – mit einem frühen Aus. Der Zweite Weltkrieg erlaubt keine objektive Bewertung von Herbergers Arbeit, wichtiger wurden seine Verdienste neben dem Feld.
Der Adenauer des Fußballs
Die Weltmeisterschaft 1954 ergründete dann den Mythos um Herberger, der bis heute Bestand hat und an welchem er auch noch in den Jahren nach seiner Zeit als Bundestrainer „kräftig mitgestrickt hat“ (Kicker). Der Titel mit einer Mannschaft, die als Außenseiter galt, war die eine, der damit verbundene Selbstbewusstseinsschub für das ganze deutsche Volk die viel wichtigere Komponente. Dem Trainerfuchs wurde daher nicht ohne Grund der Titel als „Architekt und Baumeister deutscher Aufbaujahre“ (100 Jahre DFB) zuteil, oft folgen Vergleiche oder Parallelnennungen mit Konrad Adenauer oder dem (vermeintlichen) Wirtschaftswundermacher Ludwig Erhard (die Verbindung zwischen der WM 1954 und dem Wirtschaftswunder wurde mittlerweile widerlegt, wird aber in Deutschland aufgrund der Mystifizierung des Wunders von Bern gerne aufrechterhalten, wie Nils Havemann in „Samstags um halb vier: Die Geschichte der Fußballbundesliga“ erläutert).
Nicht seltener werden Herbergers psychologische Qualitäten gelobt. Obwohl er „im Sportstudium in Berlin die Psychologie-Vorlesungen schwänzte, erwies er sich später in diesem Bereich als Naturtalent“, urteilt der Kicker, die DFB-Chronik spricht von einem „begnadeten Psychologen“. Einer dieser Kniffe war, während der WM 1954 den Lebemann Helmut Rahn auf ein Zimmer mit dem selbstkritischen Spielführer Fritz Walter zu legen. Hans-Josef Justen fasst die Qualitäten Herbergers so zusammen:
Eckig und sperrig, Pendant und Perfektionist, Diktator und Despot, väterlicher Freund und gestrenger Patron, nachsichtig und unerbittlich, schroff und charmant, treu, verlässlich und in höchstem Maße besorgt um jeden der Seinen, die ihm ans Herz wuchsen, als wären sie die eigenen Kinder.
Die Werkssiedlung, von der noch ein einziges Haus erhalten geblieben ist, musste Sepp Herberger verlassen, nachdem der Vater starb. Sie verloren mit ihm das Wohnrecht in der Rue de France 171, die heute Spiegelstraße heißt. In der „übersichtlichen, fast dörflichen Umgebung“ (Wikipedia) wuchs Herberger auf, wohnte ein Jahr in der Spiegelkolonie. Den spröden Charme der Arbeitersiedlung hat sich der Stadtteil Waldhof bis heute erhalten.
*Wie bei Franz Beckenbauer ist nicht unwesentlich, dass es sich um das Wohn-, nicht das Geburtshaus Herbergers handelt. Wer aus Berlin kommt, kann sich alternativ auch die Bülowstraße 89 in der Hauptstadt ansehen, wo er von 1937 bis 1944 lebte.
Anschrift: Spiegelstraße 31-51, 68305 Mannheim
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