„Eine Aufholjagd der Extraklasse.“ „Ein Bruderduell mit einem tragischen Verlierer.“ „Ein Abend für die europäische Fußballgeschichte.“ Drei Sätze, die das „größte Spiel aller Zeiten“ beschreiben. Ein Spiel, das noch vor dem Mailänder Fiasko beim Champions League-Finale gegen Liverpool und Deutschlands legendärer 3:4-Niederlage bei der Weltmeisterschaft 1970 eingeordnet wird, wenn man der „11 Freunde“-Ausgabe 63 aus dem Februar 2007 folgt. Das deutsche 7:1 gegen Brasilien war noch nicht gespielt, es hätte aber auch keine Chance gehabt gegen den spektakulärsten Abend der Europapokalgeschichte, das „Wunder von der Grotenburg“.
Bayer Uerdingen hatte 1985 den FC Bayern im DFB-Pokalfinale überraschend mit 2:1 geschlagen und zog im Europapokal der Pokalsieger ins Viertelfinale ein. Dort traf man im März 1986 auf Dynamo Dresden, den Verein, der nach einem 2:0 im Hinspiel und einer 3:1-Pausenführung in Krefeld schon so gut wie sicher im Halbfinale war.
Meistens erzählen mir die Leute, dass sie spätestens zur Halbzeit umgeschaltet haben, weil sie dachten, die Partie sei gegessen.
Wolfgang Funkel in einem »11 Freunde«-Interview. Auch das ZDF erhielt während der Halbzeitpause Beschwerdeanrufe, da zeitgleich der FC Bayern spielte und nur das (vermeintlich entschiedene) Spiel aus der Grotenburg-Kampfbahn übertragen wurde
Wolfgang Funkel leitete Uerdingens Aufholjagd mit einem Foulelfmeter zum 2:3 in der 58. Minute ein. Gudmundsson Ausgleich (63.) hätte man auch Ralf Minge als Eigentor zuschreiben können, beim 3:3 durch Wolfgang Schäfer (65.) war fraglich, ob der Ball überhaupt die Linie überquerte. Es kam alles zusammen für Dresden, die mit der Bürde eines ähnlichen Erlebnisses klar kommen mussten: „Spätestens nach diesen drei Toren machte den Dresdnern sicher auch die Erinnerung an das Europapokal-Aus im Vorjahr zu schaffen. Da nämlich hatte Dynamo schon einmal tüchtig den Hintern versohlt bekommen. Nach einem 3:0 daheim gegen Rapid Wien, hatten die Sachsen auswärts noch 0:5 verloren“, schreibt 11 Freunde in ihrer Würdigung. Dietmar Klinger erzielte in der 78. Minute das 5:3, Wolfgang Funkel schmiss Dynamo mit dem 6:3 (79., Handelfmeter) aus dem Wettbewerb und wiederum Wolfgang Schäfer machte mit einem Sololauf über 80 Meter den Deckel drauf.
Ob Feldkamp die richtigen Worte fand?
„Der Schiedsrichter hat uns verpfiffen, und wir mussten den Torwart tauschen“, erklärte Klaus Sammer die Niederlage 20 Jahre später. Der damalige Dynamo-Trainer wurde nach dem Spiel entlassen, sein Gegenüber, Karl-Heinz Feldkamp, ließ sich als Held feiern, der in der Halbzeit die richtigen Worte gefunden hätte. Erst sein Kapitän Matthias Herget stellte Jahre später klar, dass Feldkamp in der Pause „ziemlich ruhig“ gewesen sei und der Impuls aus der Mannschaft gekommen wäre.
Über die Spieler ist nichts in den Stasi-Akten vermerkt, das auf eine Manipulation schließen ließe.
Ingolf Pleil, Autor des Buches »Mielke, Macht und Meisterschaft: Dynamo Dresden im Visier der Stasi«, über den Vorwurf, dass das Spiel verschoben wurde
Dass Fernsehbilder vom „Wunder von der Grotenburg“ existieren, ist keine Selbstverständlichkeit. Das 7:3 war die Livespiel-Premiere aus der Grotenburg-Kampfbahn. Ein berechtigter Einwand also, wenn „Der Uerdinger“ im 11 Freunde-Forum anmerkt, dass die Grotenburg „ja wohl ganz eindeutig fehlen“ würde in der Liste der „99 Orte, die Fußballfans gesehen haben müssen“.
Man verzichtet damit auf ein reines Fußballstadion mit einem Fassungsvermögen von 34 500 Plätzen, das seinen Namen von einem Gut und Bauernhaus im benachbarten Zoo erhalten hat. 1927 als Leichtathletik-Stadion eröffnet, wurde es erst in den Siebzigern mit dem Beginn der Bayer 05-Glanzzeit für den Fußball interessant. Manni Burgsmüller erzielte von 1971 bis 1974 80 Tore in 101 Spielen für die Werkself, die knapp zehn Jahre später ihre erfolgreichste Ära erleben durfte. Bis 1991 blieb man erstklassig, holte 1985 den DFB-Pokal und schied im Rahmen des Europapokal-Abenteuers erst im Halbfinale gegen Atletico Madrid aus.
Ausstieg der Bayer AG
Zwar gelang noch zweimal der Aufstieg, als die Bayer AG 1995 ihr Engagement auf Leverkusen beschränkte, war an Bundesliga-Fußball nicht mehr zu denken. Kontinuierlich ging es erst in die Insolvenz und dann sogar hinunter bis in die 6. Liga. Ailton kickte während dieser Zeit noch mal in der Grotenburg, hatte den Zenit aber schon längst überschritten. Große Spieler wie Matthias Herget (Vizeweltmeister 1986, 39 Länderspiele), Rudi Bommer (6 Länderspiele) oder die Funkel-Brüder Wolfgang (Olympia-Dritter 1988) und Friedhelm verirren sich aber nur noch in die Grotenburg, wenn sie vom größten Spiel aller Zeiten erzählen sollen.
Anschrift: Tiergartenstraße 165, 47800 Krefeld
Internet: http://www.kfc-uerdingen.de/-grotenburg
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