Adolf Hitler soll in seinem Leben nur ein einziges Fußballspiel gesehen haben. Er mochte den Sport nicht und musste sich überreden lassen, im Poststadion der Partie zwischen dem Deutschen Reich und Norwegen beizuwohnen. Die 0:2-Niederlage gegen die Skandinavier (und damit das Viertelfinal-Aus gegen den späteren Olympiasieger) taten ihr Übriges zur Fußball-Leidenschaft des (Ver-)Führers, der, wie Propagandaminister Goebbels in seinen Tagebüchern verriet, „ganz erregt“ war.
Mit Hitler verbindet man trotz dieser Geschichte nicht das Berliner Poststadion, sondern das zehn Kilometer westlich gelegene Olympiastadion. Bis heute trägt es nicht nur Spuren des Nationalsozialismus mit sich; die „Nazi-Spiele“ von 1936 dominieren Deutschlands (inzwischen nur noch) drittgrößtes Stadion nach wie vor, auch wenn es seit den Fünfzigerjahren nicht mehr den Namen „Reichssportfeld“ trägt.
Der Schritt zurück in die Dreißigerjahre beginnt bereits vor dem Stadion. Geht man zentral auf das Stadion zu und orientiert sich an den beiden Türmen, dem Bayern- und dem Preußenturm, bewegt man sich bereits auf Hitlers Pfaden. Die historische Sichtachse, die sich über das Maifeld bis zum Glockenturm durchzieht, war seine Idee.
Die Plastiken „Staffelläufer“ und „Diskuswerfer“ stehen am Osteingang, im Westen die „Rosseführer“, südlich davon die Skulptur „Sportkameraden“, nördlich die „Siegesgöttin“. Sie sind allesamt noch aus den Dreißigerjahren erhalten geblieben.
Die Probleme mit Hitlers Außenfassade
Die von Architekt Werner March entworfene Stadionumrandung mit Natursteinplatten gefiel Hitler überhaupt nicht, sein Lieblingsarchitekt Albert Speer traf mit der Idee einer Muschelkalkverkleidung den Nerv des Führers. Der Kalkstein kommt aus dem bayrischen Kirchheim, beim „Umbau, der eher einem Neubau gleichkam“ (Pressemitteilung im Juni 2011), wurde jede einzelne Platte abmontiert, nummeriert und gereinigt. Dieser puzzleartige Aufwand war notwendig, weil jede Platte individuell angefertigt wurde und keinem Normmaß entspricht.
Die kolossalen Zahlen, die der Bau von 1934 bis 1936 damals hervorgebracht hat, kamen demnach nicht von ungefähr. Zeitweise waren täglich 500 Firmen mit 2 600 Arbeitern im Einsatz. Über die Kosten gibt es keine genauen Angaben, „es gibt jedoch Hinweise, wonach mindestens 27 Millionen Mark aufgewendet wurden“ (Olympiastadion-Berlin.de). 1000 Tips für Auswärtsspiele spricht von „40 Millionen Reichsmark“, die damit „fast das siebenfache der ursprünglich kalkulierten Summe“ bedeuten.
Hitlers Forderung, „der deutsche Sport“ brauche „etwas Gigantisches“, wurde nachgekommen. Zu den Olympischen Spielen 1936 fanden 96 200 Menschen im Olympiastadion Platz. Das Reichssportfeld war „der erste große Repräsentativbau der Nazizeit“ (Das große Buch der deutschen Fußballstadien).
Der frühere US-Präsident Ronald Reagan schlug während seiner Rede im Juni 1987 vor, die Olympischen Spiele 1988 nicht in Südkorea, sondern in Ost- und West-Berlin auszutragen.
Während des Zweiten Weltkrieges diente das Stadion als Produktionsstätte des Elektronikkonzerns Blaupunkt sowie als Ausweichquartier des Großdeutschen Rundfunks. Im Krieg hatte es schwer zu leiden, nach der Kapitulation im Mai 1945 war „das Gelände von Bombentrichtern übersät, Mauerteile waren herabgestürzt, überall lagen leere Munitionskisten, ausgebranntes Gerät, Barrikaden und Leichen“ (Olympiastadion-Berlin.de).
Erst zur Einführung der Bundesliga 1963 nahm Hertha BSC vom Gesundbrunnen Abschied und zog ins Olympiastadion ein. 1969 stellte man dort mit über 88 000 Besuchern im Spiel gegen den 1. FC Köln den bis heute gültigen Zuschauerrekord in der Bundesliga auf.
Kein Austragungsort während der EURO 88
Für die Weltmeisterschaft 1974 wurde das Stadion umgebaut und Teile überdacht, allerdings wurden dort nur drei Gruppenspiele ausgetragen. Bei der EM 1988 überging man Berlin als „Pfahl im Fleisch der DDR“ (DFB-Präsident Neuberger) gänzlich, als Entschädigung ist das Olympiastadion seit 1985 steter Ausrichter des DFB-Pokal-Finals. Vorher gab es für das Endspiel keinen festen Austragungsort. (Diese Behauptung ist bis heute umstritten.)
Bis zum Juli 2000 tat sich im Olympiastadion wenig. 1995 war aufgrund der baulichen Mängel sogar von einer Schließung die Rede, da sich Bund und Senat nicht über die Finanzierung der Sanierung einigen konnten.
Erst die Weltmeisterschaft 2006 brachte wieder Bewegung in die Sache. Für 242 Millionen Euro wurde das Olympiastadion in vier Jahren umgebaut, der Unterring musste komplett erneuert werden, die Spielfläche wurde um knapp drei Meter in den Boden gesenkt. Logen, eine blaue Laufbahn, die größte Stadionkapelle der Welt: seit der Wiedereröffnung ist das Olympiastadion eine Fünf-Sterne-Arena, die mit dem WM-Endspiel 2006 und dem Champions-League-Finale 2015 ausgezeichnete Referenzen vorweisen kann.
Durch den Umbau unter strenger Einhaltung des Denkmalschutzes ist das Olympiastadion heute eine der größten noch erhaltenen architektonischen Anlagen des Nationalsozialismus. Das große Buch der deutschen Fußballstadien geht soweit und sagt, dass es „dank mancher Manöver gelang, Hinterlassenschaften der Nazi-Zeit in die neue Republik hinüberzuretten.“
Anschrift: Olympischer Platz 3, 14053 Berlin
Internet: https://olympiastadion.berlin
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