Herbert Grönemeyer singt im Radio „Wie viele Sinne hat der Wahn?“. Diese Frage stelle ich mir auch, während ich im Auto sitze. Ich nutze den Besuch bei den Schwiegereltern für einen Abstecher ins 120 Kilometer entfernte Rostock – für einen Friseurbesuch. Ich möchte mir nicht die Haare beim Coiffeur meiner Wahl schneiden lassen, sondern einen historischen Ort besuchen: Den Friseur des Kultspielers Mike Werner. Der setzte Anfang der Neunziger einen Trend, der schon längst keiner mehr war: Die Rückkehr des „Vokuhilas“ (Vorne kurz, hinten lang), in Werners Fall sogar des „Vokuhila-Mischnas“ (mit Schnauzer).
Als Winter-Neuzugang kam Mike Werner 1991 aus Eberswalde nach Rostock, feierte mit Hansa die letzte DDR-Meisterschaft und die Qualifikation für die 1. Bundesliga. Schon der Wechsel nach Eberswalde hatte mit seiner Mähne zu tun. Werner war ein „wilder Kerl“, stand auf Lederjacken, Cowboystiefel und Motorräder und wurde von seinem Stammverein Vorwärts Frankfurt, einem Armeeklub, wegen eines regimekritischen Kommentars in seinem Schulheft strafversetzt. In Eberswalde stellte er seinen Protest gegen das Regime zur Schau und ließ die Haare wachsen.
Mit der Wodka-Diät auf 80 Kilo
Von einem Hansa-Scout wurde er dort entdeckt. Bei seinem Probetraining in Rostock grätschte er Trainer Uwe Reinders auf die Aschenbahn, für den FC Hansa hungerte sich mit der „Wodka-Diät“ auf 80 Kilo runter. Wie die Ernährungsumstellung funktioniert, erklärte er in der 11 Freunde:
Eine Woche lang isst man dreimal am Tag eine Bockwurst und trinkt dazu einen Wodka. Morgens, mittags, abends. Wenn man das eine Woche durchhält, purzeln die Pfunde von ganz alleine.
Der gebürtige Spremberger taugte also nicht nur aufgrund seiner Frisur zum Kultspieler. Ein Kreuzbandriss sorgte dafür, dass Mike Werner nur zwei Bundesligaspiele machte, aber immerhin 100 Mal in der zweiten Liga kickte.
„Ich fand die Matte einfach geil“, sagte Mike Werner einst dem Internetportal spox. Als er sich von seiner Frau trennte, kam zum Schnitt im Leben der auf dem Kopf hinzu und die Matte kam ab – nach zwei Monaten intensivster Bedenkzeit.
Derart lange muss ich nicht überlegen, meine Matte könnte auch mal wieder gestutzt werden. Der alte Mann, der Mike Werners Spitzen schneiden durfte, ist zwar laut 11 Freunde nicht mehr da, aber da bin ich nicht wählerisch.
Der Friseur von Mike Werner ist jetzt eine Beautywelt
Die Lange Straße wird ihrem Namen gerecht, sie liegt parallel zur Fußgängerzone. Ein „Hairpoint“ ist hier, es gibt Kosmetik- und Pflegeartikel und die Verkäuferin selbst ist offenbar die beste Kundin. Haare schneiden kann man hier nicht (mehr), einige Häuser weiter schon. Aber das ist nicht dasselbe. Dafür fahre ich nicht extra bis nach Rostock.
Anschrift: Lange Straße 2, 18055 Rostock
Schreibe einen Kommentar