Die Worte „Hoffenheim“ und „Fußball-Kultur“ findet man selten in einem Satz, es sei denn, man sucht nach einem Kontrastprogramm. Dabei hat man sich mittlerweile mit der TSG arrangiert. Ob aus Macht der Gewohnheit, der Tatsache, dass der Klub in seinen Stammbaum Personen wie Marco Kurz und Andreas Müller aufgenommen hat (und damit zwangsläufig normal bis bieder wirkt) oder aufgrund der aufstrebenden neuen Gefahr, den Rasenballisten aus Leipzig – das ist die Frage.
Mit der „Fußballtanke“ hatte der Verein dabei durchaus eine Pilgerstätte, die einen Hauch von Kult und Tradition nach Hoffenheim brachte. „Tante-Ingrid-Laden“ wurde die Avia-Tankstelle am Ortseingang auch genannt. Oder am Ortsausgang, aber eigentlich ist das egal, denn „an der Avia-Tankstelle beginnt Hoffenheim – und kurz darauf endet es auch schon wieder“, wie die Computerwoche einmal treffend analysierte.
Die Mannschaft wurde gegründet mit dem Ziel, aufzusteigen in die 2. Bundesliga.
Ingrid Kunkel
Tante Ingrid heißt Ingrid Kunkel und ist mir ihrem Mann Norbert 1988 nach Hoffenheim gezogen. Direkt neben der Tankstelle liegt die TSG-Akademie, heute trainieren hier die Mannschaften von der U16 bis zur U19, früher Ingrids „Buben“, die Profis.
Das hatte zur Folge, dass die Avia ein Drogenumschlagplatz für heiße Gerüchte, Fanartikelladen und Vorverkaufsstelle in einem war. Ralf Rangnick ging hier ein und aus und Sehad Salihovic deckte sich vor einem Auswärtsauftritt auch schon mal mit Proviant für 39,48 Euro ein. Autogrammkarten von Demba Ba und Chinedu Obasi zierten die Wände, „alles Brasilianer“, wie Ingrid Kunkel in Hoffenheim – das Leben ist kein Heimspiel treffsicher vermutet.
Warum ein Verein aus der Region Baden nicht das Badnerlied singen sollte
Der Film beschreibt den Aufstieg des Vereins in den letzten Jahren. Das heutige Trainingszentrum Zuzenhausen war noch ein sanierungsbedürftiges Schloss. Anhänger, die aus Württemberg kamen, lehnten sich gegen das Badnerlied eines badischen Klubs auf. Man stelle sich vor, dass ein Effzeh-Fan vom Niederrhein das Kölner Liedgut aus dem Stadion verbannen will.
Die Entwicklungen des Profifußballs machten auch vor Hoffenheim nicht Halt. Der „Vedad Issibitsch“ ging erst nach Stuttgart und dann zur Hertha, Geschäftsführer Rotthaus begrüßte immer mehr Kunden und obwohl Sinsheim, Hoffenheim und Zuzenhausen nur wenige Kilometer voneinander trennen, war die Tankstelle nicht mehr das Epizentrum des TSG-Geschehens. So wie 2008, als der Laden brummte, Hoffenheim Herbstmeister wurde, die „New York Times“ und BBC vorbeischauten und ein Reporter der Münchner Abendzeitung fragte, ob in Hoffenheim „mehr Kühe als Menschen leben“.
Doch das ist lange her. „Das Geschäft läuft auch nicht mehr so“, bestätigte Ingrid Kunkel im Rahmen ihres Abschieds, „wir sind jetzt auch in einem gewissen Alter“.
Als mich Carlos Eduardo in Vertragsgesprächen damals fragte, wie groß Hoffenheim sei, sagte ich ihm: »1,5 Millionen Einwohner«. (…) Aber was hätte ich sagen sollen? 3000 Einwohner, die Hoffenheim nun mal hat, wohnen in Porto Alegre in einem Hochhaus.
Ralf Rangnick (damals Trainer der TSG Hoffenheim) in der »Welt «
Das war Anfang 2012. Nach 26 Jahren wurden die Schlüssel an die Nachfolger übergeben, seither betreuen neue Pächter den Laden. Das Schild „Fußballtanke“ ziert die Avia noch, außer einem Puzzle vom FC Bayern deutet aber nichts mehr auf die Berechtigung dieser Bezeichnung hin.
„Das Wahrzeichen von Deutschlands außergewöhnlichstem Bundesliga-Standort“, wie Stimme.de geschrieben hat, ist wieder eine gewöhnliche Tankstelle.
Anschrift: Sinsheimer Straße 42, 74889 Sinsheim
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