Grabstelle Heinz Krügel, Magdeburg

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Grabstelle Heinz Krügel, Magdeburg

Bei Gräbern gibt es eine Vorgeschichte. Am 3. Oktober vor neun Jahren suchten wir die letzte Ruhestätte von Helmut Schön in Wiesbaden. Aufgrund des Feiertags hatte die Friedhofsverwaltung geschlossen. Und weil die 11FREUNDE keine Grabnummer in ihrer 99 Orte-Liste angegeben hatte und mir nicht bewusst war, dass ein Friedhof in einer hessischen Landeshauptstadt größer sein kann als in meinem hessischen Heimatkaff, dauerte die Suche nach Helmut Schöns Grab zweieinhalb Stunden, bis wir es endlich fanden.

Deutschland feiert wieder den Tag der deutschen Einheit, als wir die Grabstelle Heinz Krügel besuchen wollen. Wir sind wieder in einer Landeshauptstadt, aber dieses Mal in der von Sachsen-Anhalt, wir sind wieder bei einem großen deutschen Fußballtrainer: Heinz Krügel war von 1959 bis 1961 Nationaltrainer der DDR, gewann mit Chemie Halle 1962 den FDGB-Pokal und betreute den 1. FC Magdeburg von 1966 bis 1976. Und wer an dieser Stelle bereits denkt: Da wird sich Geschichte doch nicht etwa wiederholen, der ist ein Optimist und geht davon aus, dass wir am Ende des Tages vor dem Grab von Heinz Krügel stehen werden.

Ohne Grabnummer auf die Suche nach Heinz Krügels Grabstelle

Auf die Suche nach seinem Grab werden wir wieder ohne Grabnummer geschickt. Lediglich die Angabe „Große Diesdorfer Straße 160, 39110 Magdeburg“ ist uns durch die 11FREUNDE bekannt. Der 1. FC Magdeburg hat auf unsere Anfrage nicht reagiert, die Stadt Magdeburg hat auf unsere Anfrage nicht reagiert, das Internet weiß nichts, aber der Westfriedhof in Magdeburg wird ja kaum so groß sein wie der Nordfriedhof in Wiesbaden. Und vielleicht wird es ja vor den Toren des Friedhofs eine nette Blumenverkäuferin geben, die uns Auskunft erteilen wird.

Und da ist sie, die nette Blumenverkäuferin vor den Toren des Friedhofs, die uns Auskunft erteilt: „Einmal geradeaus bis zur Kapelle, dann rechts und wieder rechts, dann sieht man es schon“. Ein Kinderspiel für Grabhopper wie uns, die

  1. sich ans Revers heften können, dass sie Helmut Schöns Grab in Wiesbaden fanden, obwohl seine Grabnummer noch nicht auf unzähligen Webseiten zu finden war und  
  2. Werner Kohlmeyers Ruhestätte in Kaiserslautern entdeckten, obwohl wir nach dem Gespräch mit dem Friedhofsverwalter wussten, dass der indogermanische Sprachbaum keinen Ast für das Pfälzische hat.

Nach einer guten halben Stunde auf dem Magdeburger Westfriedhof sagt meine Frau: „Soll ich die Blumenverkäuferin vielleicht nochmal fragen?“ Ich könnte meiner Frau an der Stelle auch nicht verdenken, wenn sie die Gelegenheit nutzt, sich ins Auto setzt und einfach abhaut. Für immer. Abgehauen ist aber in der Zwischenzeit die Blumenverkäuferin, denn ihr Stand ist nicht mehr da. Das stellt meine Frau fest, während ich Grabreihen ablaufe und Menschen frage, ob sie die Grabstelle Heinz Krügel kennen. Aber die meisten Magdeburger, denen ich auf dem Westfriedhof begegne, wissen nicht, wer Heinz Krügel überhaupt ist. Entweder interessieren sie sich nicht für Fußball, oder sie verneinen freundlich meine Frage.

Heinz Krügel lieferte sich verbale Auseinandersetzungen mit den SED-Bonzen

Meine Goldgräberstimmung ist inzwischen dahin, ich setze mich auf eine Bank und finde im Archiv des Kickers einen Artikel, in dem steht, dass Krügel 1976 wegen angeblicher Erfolgslosigkeit als Trainer abgesetzt wurde. Der wahre Grund lag viel mehr darin, dass er als „Ost-West-Versöhnler“ galt und „sich von Partei- und Sport-Funktionären in der DDR nichts ein- und nichts ausreden“ ließ, wie der Kicker in dem Bericht erklärt. Krügel („Prophet, Psychologe, Mentor, Mensch“) bekam in der DDR Berufsverbot und wurde als Objektleiter zur Betriebssportgemeinschaft Motor Mitte Magdeburg abgeschoben.

Ich verliere beim Lesen die Zeit aus den Augen. Eine Stunde später, vielleicht auch zwei, wer weiß das schon, sucht meine Frau einen anderen Teil des Friedhofs ab. Sie spricht mit Menschen, die ihr sagen, dass ihnen die Frage nach Heinz Krügels Grabstelle heute schon mal gestellt wurde. Ich aktualisiere unterdessen minütlich die Webseite eines Magdeburger Fan-Forums, in das ich in der Zwischenzeit einen Eintrag geschrieben habe. Ich rede mit einer Dame, die mit einer elektrischen Heckenschere operiert und die sich an ein blau-weiß geschmücktes Grab erinnern kann, „aber nicht mehr weiß, wo genau das war“. Ein Mutter-Tochter-Duo trägt im Herz dieselben Farben. Sie rufen zuhause an, „die Männer müssten das wissen“ – aber niemand nimmt ab. Die beiden Frauen gehen in der parkähnlichen Anlage regelmäßig spazieren, erzählen sie mir, aber das Grab von Heinz Krügel sei ihnen noch nie aufgefallen. Und sie stellen die Frage in den Raum, die irgendwann im Laufe der letzten Stunden zu einer rhetorischen wurde: Ob Heinz Krügel denn überhaupt auf dem Westfriedhof läge.

Über Nizza lacht die Sonne, über uns die ganze Welt

Heinz Krügel

Der oberste Chef des Friedhofs, der liebe Gott, sendet uns mit dem einsetzenden Regen eine deutliche Antwort. Heinz Krügel ist kein Helmut Schön, es wird kein zweites Wiesbaden in Magdeburg geben. „Aber immerhin viel Frischluft“, sage ich zu dem tolerantesten Menschen auf diesem Planeten, meiner Frau. Die kann selbst dann noch lachen, als ich ihr die Antwort aus dem Magdeburger Forum abends auf dem Sofa vorlese, die um 22:42 Uhr aufploppt: „Unser Heinz Krügel ruht nicht auf dem Westfriedhof“.

Hätte die 11FREUNDE den Vorplatz des Stadions zum Magdeburger Fußballort ernannt, wäre die Friedhofsrallye schon längst beendet. Denn hier steht seit August 2014 das Denkmal des Mannes, dessen Grab wir (bisher so erfolglos) suchen. Verdient hat er es sich, weil Heinz Krügel mit dem 1. FC Magdeburg neben fünf nationalen Titeln (drei DDR-Meisterschaften und zwei Pokalsiege) 1974 den Europapokal der Pokalsieger gewann – der einzige internationale Titel, den eine DDR-Mannschaft jemals erringen konnte.

„Ohne Krügel wären wir nicht Europapokalsieger geworden und hätten nicht über Jahre in der DDR-Oberliga eine so herausragende Rolle gespielt“, sagte Jürgen Sparwasser dem Kicker. Wie Sparwasser kamen viele Akteure aus der näheren Umgebung, „eine Bezirksauswahl“, wie der Kicker bilanzierte.  

Krügel war Mitglied der Waffen-SS

Ins Wanken geriet das Krügel-Denkmal, als die NS-Vergangenheit des gebürtigen Zwickauers bekannt wurde. Eine freiwillige Arbeitsgruppe leistete anderthalb Jahre Archivarbeit und rehabilitierte Krügel. „Der Meistertrainer [sei] war zwar Mitglied der Waffen-SS [gewesen]“, so der MDR, „ihm kann aber keine Beteiligung an Kriegsverbrechen im Zweiten Weltkrieg nachgewiesen werden“.

Als wir Wochen später den nächsten Anlauf starten, haben die Weihnachtsmärkte bereits geöffnet. Im Forum des FCM wurde inzwischen ein Artikel von Magdeburg Kompakt verlinkt, auf den sich vermutlich die „11FREUNDE“ bezog: „Krügel wurde 87 Jahre alt. Als man ihn einige Wochen später auf dem Westfriedhof zu Grabe trug, wollte die große Kapelle die Trauernden kaum fassen“, liest man dort. Also doch der Westfriedhof? Aber eine Grabnummer gibt es nach wie vor nicht, Antworten der Stadt und des Vereins trotz erneuter Nachfragen auch nicht.

Heinz Krügel ruht auf dem Magdeburger Ostfriedhof

Erst als meine Frau bei der zentralen Friedhofsverwaltung Magdeburg telefonisch durchkommt, nimmt unser persönlicher Fall Krügel eine Wendung: „Ostfriedhof Cracau, Grabfeld AW 14, Grabnummer 85“, sagt man ihr. Wir fahren wieder nach Magdeburg, wir fahren am Stadion vorbei, wir biegen in den Mühlweg ein, wir sehen den Friedhofsplan am Eingang, wie laufen rechts und dann links und nach wenigen Minuten des Suchens entdecken wir die Grabstelle Heinz Krügel. Es kann so einfach sein.

In den nächsten Tagen trudeln plötzlich E-Mails ein. Vom Verein und von der Stadt, beide nennen den Ostfriedhof als letzte Ruhestätte. Die Geschichte wird an dieser Stelle rund, denn wenn Heinz Krügel noch am Leben wäre, würde er vermutlich seinen berühmtesten Satz in leicht veränderter Form rezitieren: „Über Nizza lacht die Sonne, über dich die ganze Welt!“

Anschrift: Grabstelle Heinz Krügel, Grabfeld AW 14, Grabnummer 85, Ostfriedhof Krakau, Mühlweg 11, 39114 Magdeburg (Die bessere Sehenswürdigkeit ist das Heinz-Krügel-Denkmal am Stadion, Heinz-Krügel-Platz 1, 39114 Magdeburg)

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2 Antworten

  1. nette Störy, schöne Bilder, hartnäckige Suche…allerdings heisst der Stadtteil Cracau, mit Cc, und die seltsame Mundart, die um Kaiserslaudän herum gebrabbelt wird, Pfälzisch (nicht Pfälzerisch).

    1. Guten Morgen,
      vielen Dank für die Hinweise bzw. Korrekturen!
      Beste Grüße
      Sascha

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