Helmut Schöns Grab, Wiesbaden

Edgar Wangen hat in seinem wunderbaren Buch „Die Gräber der Götter“ die Ruhestätten großer Fußballidole besucht und ist dafür rund 20 000 Kilometer quer durch Europa gereist. In einem der Gräber, das der „Grabhopper“ (FAZ) in Deutschland besuchte, ruht Helmut Schön. Die Reise führt nach Wiesbaden auf den Nordfriedhof, der sich in der Platter Straße befindet. Er ist durch Grabmäler aus der Wilhelminischen Epoche geprägt. An der Mauer entlang geht es zum Grab Nummer 43/44. Im Februar 1996 starb der Mann, dessen „Lebenswerk zur Legende“ geworden ist, wie der ehemalige DFB-Präsident Egidius Braun nach Schöns Tod sagte.

Als Nationalspieler hatte Helmut Schön eine Torquote von 1,06

In Sachsen begann die Laufbahn des „Langen“, der gebürtige Dresdner war ein ausgezeichneter Fußballer. Mit dem Dresdner SC holte er als Halbstürmer zwei Pokalsiege sowie zwei Meisterschaften und erzielte als „eine Mischung aus Fritz Walter und Gerd Müller“ (100 Jahre DFB) in seinen 16 Länderspielen 17 Tore.
Seine Leistungen brachten ihm einen Vorteil ein, der in dieser Zeit viel wichtiger war als Titel. Wie auch einige Spieler von Schalke 04 genossen manche Akteure des Dresdner SC das Privileg, vom Dienst an der Waffe weitestgehend verschont zu bleiben. Helmut Schön erlebte den Zweiten Weltkrieg somit nur wenige Wochen an der Front.

Nach dem Kriegsende im Mai 1945 war Schön als Spieler und Spielertrainer für verschiedene Vereine und Auswahlmannschaften aktiv, darunter den FC St. Pauli, die Ostzonenauswahl und Hertha BSC. In Berlin beendete er endgültig seine Spielerlaufbahn. Er ging nach Wiesbaden, betreute dort ein Jahr den Zweitligisten SV Wiesbaden und nahm das Angebot an, Nationaltrainer des damals autonomen Saarlands zu werden. Mit der Eingliederung des Saarländischen Fußballverbandes in den DFB wurde Schön im Mai 1956 Assistent von Sepp Herberger, dem Mann, der ihn im Herbst 1941 wegen fehlender Härte aus der Nationalmannschaft verbannte. Helmut Schön trainierte die B-Mannschaft, leitete Trainer-Ausbildungen und betreute die Amateur- und Jugendauswahlen bei großen Turnieren. Bei den Weltmeisterschaften in Schweden und Chile sammelte der musisch hochbegabte Feingeist wertvolle Erfahrungen an der Seite Herbergers.

Ein Trainer, der zum Zeitgeist jener Jahre passte

Am 7. Juni 1964 saß Schön erstmals alleinverantwortlich auf der Bank der Nationalmannschaft und feierte zum Einstand einen 4:1-Sieg über Finnland. „Es war eine Zeitenwende, denn auf den autoritären Herberger folgte ein sozialliberal denkender und handelnder Nationaltrainer, der sehr gut in das sich verändernde gesellschaftspolitische Umfeld jener Jahre in Deutschland passte“, beschreibt Edgar Wangen den Wechsel auf der Trainerbank, auch wenn Schön selbst kein 68er war.

Helmut Schön profitierte einerseits von der Professionalisierung des Fußballs und der Einführung der Bundesliga, andererseits von einer Spielergeneration, die mit Overath, Beckenbauer, Gerd Müller und später Günter Netzer für jeden, der sie hat spielen sehen, als „die beste Nationalmannschaft aller Zeiten gilt“, wie Uli Hesse im Januar 2012 in der 11 Freunde schreibt. Der zweite Platz in England 1966 wurde zwar noch mit vielen Routiniers erreicht, im krassen Gegensatz zur defensiven Spielweise bei der Weltmeisterschaft 1962 wurden aber jetzt auch offensiv Akzente gesetzt.

In Mexiko etwa verordnete er, dass wir jeden Tag vor dem Frühstück ein Gläschen Whiskey trinken sollten – ein altes Hausmittel gegen Durchfall, damit uns Montezumas Rache nicht ereilt. Und, was soll ich sagen: Es hat geholfen.

Horst-Dieter Höttges in der »11 Freunde« über Helmut Schön

Nachdem sich die Mannschaft 1968 nicht für die Europameisterschaft in Italien qualifizieren konnte, sollten die besten Jahre unter Schön folgen. Zwar musste man sich bei der WM in Mexiko im Jahrhundertspiel gegen Italien 3:4 geschlagen geben, 1972 wurde aber ein „neuer Zeitabschnitt im Fußball“ eingeleitet, wie die italienische Tageszeitung Corriere della Sera urteilte. Die Mannschaft wurde mit einer „geglückten Komposition aus Kampfkraft und Kunst, Esprit und Spielwitz“ (100 Jahre DFB) Europameister. Schon bei der Qualifikation in Wembley beim 3:1 über England setzte man einen Meilenstein, als man „den besten Fußball spielte, an den man sich bis heute erinnern kann“ (11 Freunde).

Bei der WM zwei Jahre später im eigenen Land war von der gerühmten Komposition der vergangenen Jahre nur noch wenig übrig. Der Titelgewinn wurde mit den vielzitierten deutschen Tugenden Kampf und Disziplin errungen. Bei der Europameisterschaft 1976 in Jugoslawien folgte der Vizetitel.
Bereits vor der WM 1978 in Argentinien kündigte Helmut Schön seinen Rücktritt an. Durch die „Schmach von Cordoba“ und sein letztes Spiel auf der Bank der Nationalmannschaft im November 1978, das wegen Nebels in der sechzigsten Minute abgebrochen werden musste, wurde es ein unrühmliches Ende.
Dabei prägte Schön eine Ära, wurde Welt- und Europameister, Vize-Welt- und Europameister und WM-Dritter. 87 Siege, 30 Unentschieden bei nur 22 Niederlagen und einem Torverhältnis von 292:107 (bei 50 Spielen ohne Gegentor) stehen für einen der erfolgreichsten Bundestrainer.

Helmut Schön war ein bescheidener Idealist

Udo Jürgens widmete Helmut Schön zum Lebewohl das Lied „Der Mann mit der Mütze“. Die Passage „Du (…) rittest nie das hohe Ross“ beschreibt den bescheidenen und ruhigen Schön exzellent. In der DFB-Chronik 100 Jahre DFB wird er als „der Sensible aus Sachsen“ bezeichnet, der schon als Spieler „zu dünnhäutig“, „zu überempfindlich“ gewesen sei. Schön nahm die Dinge persönlich. Als im Vorfeld der WM 74 der Mannschaftsrat in Malente eine Erfolgsprämie durchsetzte, sah Schön seine Wertvorstellungen verletzt und wollte abreisen. Er war ein Idealist.
Nach seiner Trainerlaufbahn zog sich Helmut Schön ins Privatleben zurück. Nach einer Alzheimer-Krankheit verstarb er im Februar 1996 und wurde in seiner Wahlheimat beigesetzt.

Anschrift: Platter Straße 83, 65193 Wiesbaden (Es bietet sich an, am Hellkundweg zu parken, auch wenn die offizielle Anschrift die Platter Straße ausweist. Der Hellkundweg ist eher ein Waldweg, bietet aber gute Parkmöglichkeiten. Man läuft nicht auf dem Friedhof, sondern Außen an der Mauer entlang bis zum ersten Tor. Wenn man den Bogen passiert, befindet sich das Grab von Helmut Schön auf der linken Seite mit der Nummer 43/44. Bei 85 000 Menschen, die auf dem Nordfriedhof begraben wurden, könnte die Suche ohne Hinweise sehr mühsam werden.)

Internet: https://www.friedhoefe-wiesbaden.de/nordfriedhof

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