Sprecherturm Alzenau, Alzenau

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Sprecherturm Alzenau

Wenn man auf dem Sprecherturm in Alzenau steht und durch die großen Fensterscheiben schaut, wartet man fast unweigerlich aufs nächste Flugzeug. Der achteckige Turm erinnert an einen Kontrollturm auf diesen kleinen Flughäfen, auf denen an einem Tag nur fünf Flugzeuge landen und die auch nicht mehr Angestellte haben. So stellt man sich den Flughafen Frankfurt-Hahn vor, wenn man noch nie da war, und eigentlich wäre Alzenau auch der bessere Landeplatz, denn von der Mainmetropole liegt die bayrische Kleinstadt, in der rund 20 000 Menschen leben, nur eine halbe Autostunde entfernt.

Der Chef im Alzenauer Kontrollturm ist Toni Ritter. Er hat für den FC Bayern Alzenau schon etliche Quadratmeter Tribüne gestrichen, die Klubchronik zum hundertsten Geburtstag geschrieben und steht seit 2010 als Stadionsprecher bei jedem Heimspiel im Kontrollturm. Wenn Olaf Scholz auch nur ansatzweise so viel könnte wie Toni Ritter, wäre die politische Situation in Deutschland deutlich entspannter.

Acht Ecken, 35 Stufen, über neun Meter Höhe: Der Sprecherturm von Alzenau

Toni empfängt uns vor den Toren des Städtischen Stadions am Prischoß, dann geht er direkt mit uns zu dem Turm, für den wir hier sind. Einige Treppenstufen später, 35 sind es genau, stehen wir in sechseinhalb Metern Höhe und blicken auf fünf Plätze: Das Leichtathletik-Stadion, einen Kunstrasenplatz, ein Basketball- sowie ein Kugelstoß-Feld und die Mairec Arena, in der die Hessenliga-Fußballer des FC Bayern Alzenau spielen. Die alte Spielstätte des FCB hätte man vom Turm aus auch sehen können: Der „Rothe Strauch“ war von 1960 bis 1990 die Heimat des Vereins und grenzte unmittelbar an die heutige Anlage an. „Rasenplatz, 400-Meter Aschenbahn, Sitzgelegenheiten für die Zuschauer und ein Vereinsheim längs zur Martin-Luther-Straße bildeten die besonderen Merkmale“, heißt es in Tonis Vereinschronik über den Platz, der heute nicht mehr ist.

Der Aufstieg des Klubs begann Ende der Siebzigerjahre, als der FC Bayern Alzenau von der B-Klasse bis in die Landesliga durchmarschierte. Partien wie gegen Schweinfurt, Würzburg oder Bayern Hof lockten bei Spitzenspielen über 2 000 Menschen an den Rothen Strauch. Als 1990 das neu gebaute Städtische Stadion am Prischoß eingeweiht wurde, war der FC Bayern ein etablierter Landesligist und Alzenau „eine in allen Bereichen aufstrebende Stadt“, wie die Chronik berichtet. 3 000 Zuschauerinnen und Zuschauer sahen zur Einweihung nicht nur einen 8:0-Sieg von Eintracht Frankfurt über Alzenau, sondern auch erstmals den in Leichtmetall-Bauweise errichteten Sprecherturm, der eine Gesamthöhe von 9,20 Metern hat.

Der FC Bayern Alzenau geht jedes Wochenende fremd

Der ist aber nicht die einzige Besonderheit des Vereins. Wie der 20 Kilometer entfernte Nachbar Viktoria Aschaffenburg wechselte der FC Bayern Alzenau den Landesverband, um kürzere Auswärtsfahrten bewältigen zu müssen. Nach sieben Jahrzehnten unter bayrischer Flagge läuft der Verein seit 1992 unter der der Hessen auf. „Im eigentlich falschen Landesverband“ (11FREUNDE) stieg der FC Bayern Alzenau erst bis in die Bezirksliga (1999) ab, um dann einen Aufstieg nach dem anderen bis zur Regionalliga zu feiern.

Alzenau gehört (neben fünf Spielzeiten in der Regionalliga) seit fast zwei Dekaden zum festen Inventar der fünftklassigen Hessenliga. Königsklassig ist dagegen der Sitzkomfort für die Besucherinnen und Besucher der Mairec Arena: Die 368 Sitzplätze auf der im Mai 2019 eingeweihten Haupttribüne sind mit Klappsitzen ausgestattet, die vorher in der Allianz Arena verbaut waren. Das nahezu identische Vereinswappen hatte der FC Bayern Alzenau dagegen vor dem großen Namensvetter aus München, der zwar im selben Bundesland, aber rund vier Autostunden entfernt liegt.

Der Spitzname "Toni vom Turm" entstand, als Toni Ritter für die Stadionzeitung eine Kolumne schrieb. Er geht auf Michael Heil von der Gelnhäuser Zeitung zurück.

Inzwischen steht Toni bei den Hessenliga-Spielen der Unterfranken nicht mehr im Turm, sondern auf der prominent bestuhlten Haupttribüne, um die Tore seines Vereins anzusagen. „Das Blickfeld von hier ist außergewöhnlich schön“, erklärt Toni, der Grund für das Verlassen des Vereinswahrzeichens ist aber die veraltete Technik im Tower: „Die ist aus den Achtzigerjahren und museumsreif.“ Unabhängig von seinem Standort spielt Toni dagegen immer das „Jappa-dappa-du“, das auch bei den Torerfolgen des Rekordmeisters aus München in der Allianz Arena erklingt, und nach einer kurzen Pause die „Alzenauer Attacke“, die auch zur Begrüßung der Mannschaften ertönt. Sie geht auf den (inzwischen verstorbenen) Edelfan Klaus Kihn zurück, der die Attacke zum ersten Regionalliga-Aufstieg 2009 einführte, als er sie im Stadion auf einem Jagdhorn blies. Tonis Frau Evi, die beim FC Bayern als Kassenwartin bei den Heimspielen ehrenamtlich tätig ist, sicherte sie mit einem digitalen Aufnahmegerät für die Ewigkeit – und damit auch die Erinnerungen an einen treuen Anhänger. Von denen könnte es insgesamt mehr geben, wenn es nach Toni geht, denn selbst zum Derby gegen Walldorf war die Bude nicht annähernd voll.

Vielleicht wäre es eine Option, die bekanntesten Namen des Vereins als Zuschauerattraktion häufiger in die Mairec Arena zu locken. Heiko Westermann, der in der Jugend zwei Jahre für Alzenau spielte, ist der eine, Svenja Huth, die in Alzenau geboren wurde, 88 Länderspiele für Deutschland bestritt und 2016 Olympiasiegerin wurde, der bekanntere.

Das eigentliche Gesicht des Vereins kennt man aber durch die Stimme, die aus dem Turm erklingt.

Anschrift: Sprecherturm Alzenau, Städtisches Stadion am Prischoß, Prischoßstraße 57, 63755 Alzenau

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