Die Gnade meiner späten Geburt bewahrt die Kickers Offenbach davor, dass ich ihnen den einzigen Titel ihrer Vereinsgeschichte missgönne. Bei ihrem Pokalsieg bezwangen sie im Finale ausgerechnet meinen 1. FC Köln, aber das war schon 1970. Weitaus weniger Verständnis habe ich dagegen für die Fanfreundschaft mit Bayer Leverkusen, die vermutlich unter Androhung von Waffengewalt entstanden sein muss. Und dann gibt es da noch die generellen Unterschiede zwischen Nordhessen (wo ich nun mal herkomme) und Südhessen, denn uns trennen nicht nur mehr als hundert Kilometer, sondern Welten. Da unten leben sie zwischen riesigen Hochhäusern, hier oben leben wir zwischen riesigen Rinderherden.
Thorsten Franke und seine Crew müssen also Überzeugungsarbeit leisten, als ich an der Aschaffenburger Straße 65 ankomme. Das Museum ist zehn Gehminuten vom Bieberer Berg entfernt, „die Stadionnähe ist wichtig“, sagt Franke. Seine Privatsammlung ist die Grundlage des Kickers-Fan-Museums, das den Zusatz „Von Fans für Fans“ trägt.
Das Kickers-Fan-Museum: Wenig Gedöns, viel Leidenschaft
Im März 2007 wurde die Ausstellung eröffnet, damals noch an anderer Stelle. „Ich hatte einen Streetwear-Laden in der Goethestraße, habe den allerdings aufgegeben. Der Mietvertrag lief aber noch drei Monate“, erzählt Franke in Jonas Schultes Fußballheimat Hessen. „Da kam die Idee, dass ich die Sachen bis zum Ende der Miete im Laden ausstelle.“ Der Startschuss für das Museum, das 2011 in den Stadtteil Bieber umzog und seit 2013 in den aktuellen Räumlichkeiten sein Zuhause gefunden hat. Hier wird auf 150 Quadratmetern so ziemlich alles präsentiert, was kleine und große Offenbacher Herzen höher pochen lässt: Den Gründungswimpel des Vereins, eine Zeitkapsel, die 2011 beim Stadionneubau gefunden wurde, die Büste von Waldemar Klein oder ein Replikat des DFB-Pokals, der an den obererwähnten Sieg der Kickers gegen meinen 1. FC Köln erinnert.
Dazu Devotionalien, die man auch in der eigenen Schublade oder auf dem Dachboden der Großeltern finden könnte: Schlüsselanhänger, Fähnchen, (Sitz-)Kissen, Gläser, Stadionzeitschriften, Wimpel, Autogrammbälle, Tassen oder Schuco-Teddys im Offenbacher Dress. Die wären in einem vom Verein betriebenen Klubmuseum vor lauter Multimediagedöns vermutlich nicht ausgestellt, haben aber viel mehr als nur eine Daseinsberechtigung – sie bilden das Leben derer ab, die den Verein gegen keine Ablöse der Welt verlassen würden. Dabei wurde eine einzigartige Akribie an den Tag gelegt, es scheint kein Fan-Artikel zu fehlen.
Das Kickers-Fan-Museum verzichtet auf Leihgaben
Eine Zeitlang verzichtete die Ausstellung, die zu 99 Prozent aus Eigenbesitz besteht, auf Vitrinen und dicke Glaswände. Das hatte zur Folge, dass das von Thorsten Franke proklamierte „Museum zum Anfassen“ für einige Besucherinnen und Besucher auch eins zum (unerlaubten) Mitnehmen wurde. Seither überwachen Deckenkameras das Kickers-Fan-Museum, auch das ist ein Grund dafür, warum auf Leihgaben so gut es geht verzichtet wird.
Wenn die ehrenamtlichen Helferinnen und Helfer – bei Veranstaltungen sind es bis zu 50 – nicht durch die dienstags, freitags und am Wochenende geöffnete Ausstellung führen (in der Sommerpause gelten andere Öffnungszeiten), organisieren sie Busfahrten, bilden sich fort oder arbeiten die Historie des Vereins auf, indem sie Bilder oder Artikel archivieren. „Ich weiß, dass mein Leben dafür nicht mehr reichen wird“, sagt Thorsten und weist auf die Tätigkeiten hin, die auch gemacht werden müssen: Das Reinigen der Toilette für die Besucherinnen und Besuch des Museums.
Ein skaraler Ort: Der Bieberer Berg
Wie viele es pro Jahr sind, wird nicht dokumentiert. „Bei Spieltagen ist der Ansturm so groß, dass wir das gar nicht zählen können“, sagt Birgitta Jung. Die ganzen Exponate sind chronologisch und in Themeninseln sortiert. Auf dem Weg dorthin komme ich am Erwin-Kostedde-Platz und an Elfmeterpunkten vorbei, die in Acryl gegossen sind. Eine entsprechend große Huldigung erfährt der alte Bieberer Berg, von dem u. a. Flutlichtstrahler, Schilder und Original-Sitze erhalten wurden. Und obwohl in dem separaten Raum eine besondere Stimmung herrscht, sehe ich Thorsten die Unzufriedenheit an: „Die Wellenbrecher, wie gerne hätte ich die behalten!“, trauert er den unarchivierbaren Kolossen hinterher.
Auch wenn das Kickers-Fan-Museum ehrenamtlich betrieben wird, ist es seit 2014 als gemeinnützige GmbH organisiert: „Zum einen wird das Team entlastet, da Thorsten Franke […] hauptberuflich als Geschäftsführer agiert und somit viele Aufgaben direkt erledigen kann, zum anderen bietet diese Geschäftsform Sponsoren neue Möglichkeiten, das Museum zu unterstützen“, heißt es auf der Webseite des Museums. Für den normalen Fan wurde die Möglichkeit einer Patenschaft eingerichtet, mit der man das Kickers-Fan-Museum unterstützen kann.
Harald Juhnke definierte Glück mal so: „Keine Termine und leicht einen sitzen.“ Das Museum der Kickers muss ich mir nicht schön saufen, ganz im Gegenteil: Es ist sicherlich kein Zufall, dass ich Fan-Museen vergöttere, denn hier machen Menschen aus einem Hobby ihr Leben. Dabei ist es völlig gleich, für welche Farben sie stehen, ob Schwarz-Gelb in Bayreuth oder bunt wie in Bad Tabarz oder Springe. Und als ich das Kickers-Fan-Museum nach mehreren Stunden verlasse – denn darunter geht es nicht –, ist es nicht nur die rot-weiße Vereinsfarbe, die mich mit den Kickers verbindet. Es ist viel mehr.
Anschrift: Kickers-Fan-Museum, Aschaffenburger Straße 65, 63073 Offenbach am Main
Internet: kickersfanmuseum.de
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