Sportplatz Achtrup, Achtrup

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Sportplatz Achtrup, Achtrup

Wenn früher mein Opa, der mit uns im selben Haus wohnte, ans Telefon ging und jemand am anderen Ende der Leitung nach mir fragte, sagte mein Opa immer den Satz: „Der ist auf Tournee“. Der Satz wurde so legendär, dass meine Freunde irgendwann darauf hofften, dass mein Opa den Hörer abhob, um von ihm den Satz mit der Tournee zu hören.

„Auf Tournee“, das bedeutete, dass ich auf dem Sportplatz war. Der war fünf Fahrradminuten entfernt und die erste Form der Emanzipation, denn vorher kickten wir immer auf der Wiese hinter unserem Haus. „Immer“ bedeutete: immer. Dahinter steckt auch keine sozialromantische Geschichte von Talenten, die durch das Raster fielen, wir wollten einfach nur Bälle aufs Tor hämmern, völlig gleich, ob die Hälfte unserer Schüsse im Maisfeld landete oder nicht. Nach der Schule gab es Mittagessen, dann ging es aufs Fahrrad und runter auf den Sportplatz. Die Hausaufgaben schrieb ich am nächsten Morgen in der Schule ab (übrigens einer der Gründe, warum ich heute als Lehrer keine Hausaufgaben aufgebe) – es reichte ja irgendwie auch so und als Profifußballer würde man eh genug verdienen.

Wenn wir zu zweit waren, ging einer ins Tor und einer musste von mindestens sechzehn Metern schießen. Unter diesem einfachen Prinzip rollten wir die deutsche Länderspielgeschichte neu auf, knallten als Littbarski aufs und parierten als Illgner im Tor und konnten einmal Lothar Matthäus sein, von dessen Dynamik wir so weit entfernt waren wie vom nächsten Bundesliga-Standort. Als wir alle Länderspiele gespielt hatten, stellten wir zwei Kleinfeldtore gegenüber auf und zockten Eins-gegen-eins. Wenn wir zu dritt waren, spielten wir „Lünfeln“, eine Spielform, die in anderen Teilen des Landes als „Luftkönig“ oder „Hochball“ bekannt ist. Ab vier Leuten ging es auf zwei Kleinfeldtore und in den Sommerferien wurden aus vier Spielern nicht selten zwei komplette Mannschaften, weil aus den umliegenden Dörfern ganze Fahrradkolonnen anrollten.

Den Sportplatz Achtrup war das Zuhause von Turbostaats „Rollo“

Ich muss an all diese Sachen denken, als wir in Achtrup aussteigen. Eigentlich hatte ich keine Lust auf diesen Ort. Selbst von meiner Schwiegermutter, die in Lübeck wohnt, sind es nochmal mehr als zwei Stunden mit dem Auto, denn Achtrup liegt neben Flensburg und damit unmittelbar vor der dänischen Grenze. Und das für eine Sehenswürdigkeit, die keine ist, für einen einfachen Sportplatz, den wir aus Chronistenpflicht besuchen müssen, weil er in der Ausgabe 223 der „11FREUNDE“ aufgeführt ist. „Rollo“, der Gitarrist der Punkband „Turbostaat“ (von der ich zuvor noch nie gehört habe und deren Musik mich auch so gar nicht abholt), wirft als Prominenter diesen Ort auf die 150 Orte-Liste. Campino hat in dieser Eigenschaft die Rheinwiesen und Kevin Kühnert das Mommsenstadion nominiert. Aber der Sportplatz im eigenen Dorf? Kreativ ist das nicht und damit so sinnenthaltend wie Currywurst im Glas auf Hochzeiten. Eine Hochzeit, für die man mehrere hundert Kilometer fahren muss.

Als ich in Achtrup meine Fotos mache, werden meine Erinnerungen konkreter. Ich liebte es, im Regen durch den Matsch zu fliegen. Und weil ich danach aussah wie „Das Ding aus dem Sumpf“, wurde ich aus unserem Dorfladen geworfen, als ich mir nach dem Fußball eine Cola kaufen wollte. Und einmal musste ich um meinen Lederball bangen, als er auf das Feld des Bauern Dietz flog und dessen Sohn mit dem Traktor Vollgas gab, um den Ball zu überrollen. Eine Brise bester Landluft holt mich aus der Kindheit zurück. Hier in Achtrup kreischen die Möwen, das tun sie in Nordhessen nicht, aber auf dem Dorf riecht es nach Dorf. Das ist wohl überall gleich.

Es ist nicht die einzige Parallele: „Es gab kein Jugendzentrum, keine Einkaufsstraße, also sind wir jeden Nachmittag auf unseren Rädern zum Platz geeiert“, sagt „Rollo“ in der 11FREUNDE. „Das waren die Achtziger in der Provinz, entweder Fußball oder Sterben vor Langeweile“. Damit wird er mir ein bisschen sympathischer. Abwechslung hatten wir schon, beispielsweise am Amiga 500. Aber was spielten wir da? Sicherlich auch mal „Giana Sisters“, die gegenderte Version von „Super Mario“, aber allen voran Bundesliga Manager, Kick Off oder Sensible Soccer. Und dann merkten wir recht zügig, dass es auf dem Platz doch schöner war. Wie bei „Rollo“. Der sagt auch: „Zwar hatte ich auch ein richtiges Zuhause, aber wichtig war auf’m Platz“.  

Ein Sportplatz ist mehr als ein Sportplatz

Und so langsam wird der Ausflug in den hohen Norden, auf den ich so wenig Böcke hatte, rund. Neben einer wunderschönen Tribüne hier in Achtrup ist es nicht nur die Reminiszenz an die Jugend, es ist die Erkenntnis, dass das über 500 Kilometer von meinem Heimatdorf entfernt genauso war – und auch in jedem Ort zwischen Baumbach und Achtrup.

„Rollo“ schreibt in der „11FREUNDE“, dass er irgendwann lieber auf Punkkonzerte fuhr. Und auch wir mussten uns nicht erst den Traum des Profifußballs aus den Augen reiben, um zu erkennen, dass es noch andere Sachen gab, als jeden Tag bis in die völlige Dunkelheit Fußball zu spielen.

Wenn ich heute meine Eltern besuche, nehme ich ab und an den Weg, der am Sportplatz vorbeiführt. Ich habe dort in den letzten zwanzig Jahren niemanden mehr spielen sehen. Kein Kind ist auf Tournee.   

Anschrift: Sportplatz Achtrup, Bahnhofstraße 3, 25917 Achtrup

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