Als ich im Barbereich warten darf, bis mein Tisch frei wird, habe ich eigentlich schon keinen Bock mehr. Für das VAIVAI bin ich zwar nicht zu alt (das Publikum ist bunt gemischt und ich befinde mich im gesicherten Mittelfeld), aber das ist mir alles etwas zu viel: Zu laut, zu stylish, das Duzen am Telefon, als ich den Tisch reservierte („Alles klar, Sascha, der Tisch wartet hier um 21 Uhr auf dich“), das ist nicht meine Welt. Aber was soll ich auch machen, man kriegt den Jungen aus dem Dorf, aber das Dorf nicht aus dem Jungen.
Dass das mit mir und dem VAIVAI nicht passen kann, hätte ich mir denken können. Wenn Deutschland spielt, würde ich am liebsten die Sicherung rausnehmen, aber weil dann die ganze Bude dunkel ist, mache ich nur den Fernseher aus. Das ganze Gedöns um den modernen Fußball, um Klatschpappen und um das Gerede von der mangelnden Wertschätzung trotz 20 Millionen Jahresgehalt, es gipfelt für mich in der Nationalmannschaft. Doch genau wegen denen bin ich hier, denn die Mannschaft hat hier vor einigen Wochen ihren Teamabend verbracht, „ein geheimes Einschwören […] auf die Heim-EM 2024“, wie die BILD schrieb. Und über das VAIVAI weiß das Boulevard-Blatt außerdem, dass es zu den „Lieblings-Hotspots der Eintracht-Stars“ gehört. Also: Es muss schon viel passieren, damit das, was an dieser Stelle noch nicht einmal richtig begonnen hat, noch ein gutes Ende nimmt.
Das VAIVAI, ich und unsere Ebene
Nach der Wartezeit im Barbereich werde ich an meinen Tisch gebracht. Es ist Freitagabend und das VAIVAI ist gerammelt voll. Die Bedienung ist so instagrammable friedly wie inspirierende Baukunst: „Hast du was gefunden, mein Lieber?“, fragt sie mich, und als ich bei meiner Lieben bestellt habe, schließlich sind ja jetzt auf einer Ebene, sagt sie verständnisvoll: „Puh, mein Lieber, dann haben wir das schon mal geschafft!“ Was soll ich denn dazu noch sagen?
Als das Essen an den Tisch gebracht wird, muss ich an meine Zeit in der Grundschule, an das Fach Kochen und an Quarkspeise mit Mandarinen denken. Als ich damals die Nachspeise zubereiten musste, war von dem gesunden Teil des Gerichts nichts mehr zu sehen, weil ich alles unter einer Lawine von Schokostreuseln versteckt habe. Warum ich das erzähle: Ich war nie ein sonderlich großer Fan von „Das Auge isst mit“ und wurde mit dem „Masse statt Klasse“-Denken sozialisiert. Aber dem, was da jetzt vor mir steht, kann ich schon etwas abgewinnen: Eine als Schiff getarnte Kreation aus verschiedenen Brotsorten, die mit einer Olivenpaste, Butter und Olivenöl serviert wird.
Die Frikadelle war in ihrem ersten Leben ein glückliches Rind
Und Gott im Himmel, schmeckt das überragend! Wenn ich den Hauptgang nicht schon bestellt hätte, würde ich das einfach nochmal und nochmal essen. Ich revidiere dieses Denken erst, als mein Burger auf den Tisch kommt. Die Pommes sind selbstgemacht, die Trüffelmayonnaise vermutlich auch, so oder so ist eigentlich auch völlig egal, denn was immer die im VAIVAI mit dem Rind gemacht haben, das jetzt als Frikadelle getarnt meinen Burger vollendet, das hier das Beste, was ich je gegessen habe. Und daran ändert auch der New York Cheesecake zum Nachtisch nichts, der sehr gut schmeckt, aber nicht an die ersten beiden Gänge herankommt.
Dass das nicht günstig ist, versteht sich von selbst, kann es aber auch nicht sein, wenn etwas so gut schmeckt. Wir bezahlen um die einhundert Euro für zwei Personen mit jeweils drei Gängen, links und rechts von uns fällt die Rechnung üppiger aus, weil unsere Nachbarn ordentlich Vino trinken.
Irgendwann werde ich das VAIVAI nochmal besuchen, vielleicht habe ich mich in meiner Persönlichkeit bis dahin auch so entwickelt, dass ich das Drumherum weniger anstregend empfinde. Ich werde klein anfangen und Nudeln zukünftig Pasta nennen. Und vielleicht entwickelt sich die Nationalmannschaft auch weiter und hält hier nicht nur ihre Teamabende ab, sondern erreicht auch auf dem Spielfeld VAIVAI-Niveau. Dann wird man zukünftig nicht mehr am Arm von Cucurella scheitern.
Anschrift: VAIVAI, Grüneburgweg 16, 60322 Frankfurt am Main
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