In der Romantik eines Stadions ist eine Tartanbahn so wie ein Bärchen-Schlafanzug in der Romantik einer Ehe – kein Sargnagel, sondern eher ein Akku-Stiftnagler von Hornbach. In Minden kompensiert eine einzigartige Tribüne diesen Kunststoffbahn-Makel. Und das in einem Stadion, dessen Name pure Poesie ist: Weserstadion.
Im Jahr 1934 wurde die Tribüne zum westfälisch-lippischen Landesturnfest errichtet, zeitgleich baute man den Platz zur Großkampfbahn aus. Sport trieb man an dieser Stelle bereits seit 1910, erst in Anlehnung an den alten Flurnamen auf dem „kleinen Schweinebruch“, im Nationalsozialismus dann auf der „Adolf-Hitler-Kampfbahn“, wie es in dem Buch Bau- und Kunstdenkmäler von Westfalen heißt.
Der Fußballplatz wurde im Bereich des Schweinebruchs am 14. März 1920 eingeweiht, erklärt Monika M. Schulte vom Mindener Kommunalarchiv: „1920 entstand durch Zusammenschluss zweier 1920 gegründeter Spielvereine der Fußballverein ‚Fortuna-Wacker‘ mit 400 Mitgliedern, der dort von der Stadt gepachtetes Gelände als Fußballplatz einzäunen ließ“.
Häufig wird im Internet das Jahr 1928 mit der Eröffnung des Stadions in Verbindung gebracht. Philipp Koch vom Stadtmuseum Minden ist die Jahreszahl ein Dorn im Auge: "Die fehlerhaften Zitationszirkel sind lästig", sagt er.
So richtig rappelvoll wurde das Stadion immer dann, wenn die Feldhandballer des Militärsportvereins Hindenburg Minden (vor dem Zweiten Weltkrieg) und die von Grün-Weiß Dankersen (nach dem Krieg) ihre Deutschen Meisterschaften einfahren konnten. Der Zuschauerrekord des heute 6 800 Menschen fassenden Stadions wurde im August 1970 bei Dankersens 15:11-Sieg gegen den TV Hochdorf erzielt, als 20 000 Besucherinnen und Besucher ins Weserstadion strömten.
Im selben Jahr begann die erfolgreichste Zeit des Mindener Fußballs. Die Spielvereinigung 05 war 1969 in die damals drittklassige Verbandsliga aufgestiegen, hielt sich dort bis 1974 und konnte „häufig bis zu 4 000 Zuschauer begrüßen“, wie Das große Buch der deutschen Fußballstadien schreibt. An Zahlen von 8 000 Zuschauerinnen und Zuschauer, wie 1955 beim Freundschaftsspiel gegen Schalke 04, kam man aber nicht mehr heran. (Das „Mindener Tageblatt“ hatte bei diesem Spiel 6 000 Menschen gezählt.)
Der große Fußball liegt ziemlich abseits: Hannover mit rund 60 km, Bielefeld mit etwa 40 km.
Die Mindener Feldhandball-Legende Herbert Lübking erklärt 1969 im »Kicker« den Zuschauerzuspruch
Danach lockten nur noch Freundschaftsspiele des SV Werder größere Massen in „den kleinere[n], aber sehr hübsch anzuschauende[n] Zwillingsbruder des großen Bremer Weserstadions“ (Das große Buch der deutschen Fußballstadien): 6 000 Menschen sahen 1976 den Test gegen Borussia Dortmund (1:0), 5 500 den gegen Trabzonspor (2004, 1:1). Philipp Koch, Museumsleiter in Minden und der vermutlich beste Ansprechpartner für die Sportgeschichte der Stadt, betont dennoch: „Minden ist bis heute eine Handballhochburg, der Fußball besaß in der Geschichte dieser Sportstätte nie eine besondere Bedeutung“.
Das Buch Bau- und Kunstdenkmäler von Westfalen führt zwei weitere markante Veränderungen in der Geschichte des Stadions auf: 1950 wurde das Abort- und Umkleidegebäude errichtet, zu Beginn der Neunzigerjahre begann der „Umbau des Platzes zur Modernisierung und Anpassung an die geltenden internationalen Maßstäbe für Sportstätten“, der 1992 abgeschlossen wurde.
Teile der Tribüne des Weserstadions brannten 2003 ab
In diesem Rahmen wurde auch die wunderschöne, 1 300 Besucherinnen und Besucher fassende Tribüne renoviert, die in der Geschichte des Stadions ihre eigene erzählt. Im Januar 2003 brannte sie teilweise ab, „unbekannte Täter hatten das Feuer gelegt“, berichtete das Mindener Tageblatt seinerzeit. Im Sommer desselben Jahren wurde damit begonnen, sie wieder in ihren alten Zustand zurückzuversetzen: „Da das Stadion unter Denkmalschutz steht, musste die Tribüne wieder weitgehend originalgetreu aufgebaut werden“, klärt Philipp Koch auf. Sie macht das Weserstadion zu einer Sehenswürdigkeit, auch wenn heute weder Fuß- noch Handballspiele Menschenmassen anziehen: Zum neuen Publikumsmagneten sind dafür die Footballer der Minden Wolves geworden, die vierstellige Besucherzahlen verbuchen.
Anschrift: Weserstadion, Am Weserstadion 4, 32423 Minden
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