In der Retrospektive wurde an jenem Tag im Sommer 2001 der erste Sargnagel in meine Beziehungskiste geschlagen. Den letzten Spieltag der Bundesliga verbrachte ich nicht im Stadion, auch nicht vor dem Fernseher oder dem Radio – sondern auf einem Feuerwehrfest in der nordhessischen Provinz. In bedingungsloser Hörigkeit gegenüber meiner damaligen Freundin sah ich Kindern zu, wie sie Schläuche um die Wette rollten, während sich im Gelsenkirchener Parkstadion das wohl dramatischste Saisonfinale der Bundesligageschichte abspielte. Die Gerüchte auf dem Feuerwehrfest nahmen kein Ende, abwechselnd hieß es: Schalke ist Meister, Bayern ist Meister. Schalke ist Meister, Bayern ist Meister. Und mir dämmerte, dass ich gerade etwas ganz Großes verpasse.
Ein kleines Radio hätte mir schon geholfen. Denn bevor ich ein eigenes Sky-Abo hatte, bevor ich ein eigenes Premiere-Abo hatte, bevor ich ab und an in der Kneipe Premiere sah, bevor ich bei meinem Kumpel Premiere guckte, der zuerst ein Premiere-Abo hatte, bevor ich eine Phase hatte, in der ich den Fußball weniger mochte als zuvor, weil er mir nicht mehr so wichtig war, bevor ich regelmäßig ins Stadion ging, bevor ich die Tafel 222 im Videotext entdeckte, war Fußball im Radio evident. Die Schlusskonferenz ist in ihrer Zeitlosigkeit eine der größten Erfindungen des Fußballs und steht der Fernseh-Konferenz in nichts nach.
Sekundengenaue Einsatzzeiten
Der Unterschied zwischen TV- und Radiokonferenz liegt in der Kreativität und Fantasie der Hörerinnen und Hörer: „Das Fernsehen liefert die Bilder gleich mit, das Radio lässt sie erst im Kopf des Hörers entstehen“, sagte Werner Hansch einst der 11 Freunde. Dafür ist die Rolle der Reporterin (mit Sabine Töpperwien, Martina Knief, Julia Metzner und Tabea Kunze in der Unterzahl) oder des Reporters nicht minder wichtig, „er [oder sie] muss mit Wortwitz und Ironie das Geschehen kommentieren, es möglichst genau beschreiben“, wie Hansch weiß. Möglichst genau sind auch die Einsätze der Reporterinnen und Reporter geplant, von plus minus fünf Sekunden spricht Alexander Bleick vom NDR, möglichst genau muss er in der Sprachwahl sein: „Das Spiel ist viel schneller geworden. Damit änderte sich natürlich auch der Kommentarstil. Man hat heute viel weniger Zeit, die Dinge zu schildern“, berichtet Bleick in einem 11 Freunde-Interview.
Im Radio ersetzt man dem Hörer die Augen.
Alexander Bleick
Das Konzept der Konferenzschaltung existiert seit 1952, es wurde von der Reporterlegende Herbert Zimmermann („Rahn müsste schießen – Rahn schießt!“) eingeführt. Die Bundesliga übernahm bei ihrer Gründung die Idee vom WDR, der schon die Spiele der Oberliga West via Konferenz übertrug. Heute sind alle neun Landesrundfunkanstalten der ARD beteiligt und betten die vom WDR produzierte Konferenz in ihre Sendung ein. So kennt der Norddeutsche die „Bundesliga-Show“, im Süden hören die Bayern „Heute im Stadion“.
Eine deutlich bessere Quote als Sky
Um die acht bis neun Millionen Menschen folgen der Konferenz an jedem Samstag, die Topwerte der Sky-Konferenz liegen bei 1,5 Millionen Zuschauerinnen und Zuschauern, die der Sportschau zwischen fünf und sechs Millionen. Einen Eindruck der Sportschau bekommt man bei der Besichtigung in den WDR-Gebäuden, an den Studios der Radiokonferenz führen dagegen sämtliche Wege vorbei. Das Hörspiel steht stattdessen im Mittelpunkt, das macht die Besucherführung nicht weniger empfehlenswert.
Was an jenem Tag im Sommer 2001 über den Äther lief, kann man in dem Buch „Tooor… in Deutschland“ nachlesen oder auf der CD „Finale Furioso!“ nachhören. Aus rechtlichen Gründen dürfen die epischen Sätze nicht hier stehen, die meisten königsblauen Anhänger ertragen diesen Moment auch nur in königsblauer Besoffenheit. Manni Breuckmann, der damals aus dem Parkstadion kommentierte, konnte das, was sich auf Schalke abspielte, „mit Worten, mit dürren Worten, nur sehr, sehr schwer beschreiben“. Ich verpasste damals einen großen Moment der Bundesligageschichte. Die Fans von Schalke 04 einen noch viel größeren.
Anschrift: Westdeutscher Rundfunk Köln, Appellhofplatz 1, 50667 Köln
Internet: https://www.wdr.de (direkter Link zur Besucherführung)
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