Wenn die Reserve der SG Uttershausen/Lendorf/Efze auf die zweite Mannschaft der SG Schwarzenberg/Röhrenfurth trifft, dann tun sie das nicht vor einer historischen Holztribüne. Wenn die Spieler der SG Englis-Kerstenhausen-Arnsbach zum Auswärtsspiel nach Zella/Loshausen reisen, dann besuchen sie vorher nicht das Vereinsmuseum der gastgebenden Spielvereinigung. Und wenn die SG Antrefftal/Wasenberg gegen die SG Neukirchen/Röllshausen spielt, dann sucht man vor den Sportplätzen vergebens ein Denkmal der lokalen Vereinslegenden.
In den unteren Ligen der Fußball-Provinz sind Sehenswürdigkeiten rar gesät, das ist im Schwalm-Eder-Kreis nicht anders als im Donnersbergkreis oder in Neuburg-Schrobenhausen. Da muss schon ein besonderer Klub mit besonderen Menschen daherkommen, um zu den Orten zu gehören, die Fußballfans gesehen haben müssen.
Bundesliga gibt es hier auch
„Wir sind die Klopper vom Dorf und haben nicht unbedingt den besten Ruf“, sagt Rene Karius über den Verein, für den die eine Hälfte seines Herzens schlägt: Den TSV 1863 Spangenberg. Spangenberg liegt im ehemaligen Zonenrandgebiet, rund 40 Kilometer südlich von Kassel. Einen Bundesligisten gibt es hier auch, aber nur beim Handball: Melsungen ist elf Kilometer entfernt, dort arbeiten viele der rund 6 000 Menschen, die in Spangenberg wohnen.
Die Stadt hat die Probleme, die viele Kleinstädte in Nordhessen haben. Dem Schwalm-Eder-Kreis wird bis 2040 ein Bevölkerungsschwund von über 10 % prognostiziert, spätestens seit der Aufhebung des Zonenrandförderungsgesetzes ist das Geld in Spangenberg knapp. Die meisten Sportvereine in der Gegend müssen Spielgemeinschaften gründen, um den Spielbetrieb zu gewährleisten.
Auf dem Liebenbachsportplatz spielt keiner für Geld
„Wir sind einer der letzten eigenständigen Vereine im Landkreis“, sagt Karius, „und darauf sind wir stolz.“ Dafür investieren die Menschen im Verein eine Menge. Kein Geld, denn in Spangenberg wird nicht die Geschichte eines Mäzen geschrieben, der sich mit Ex-Profis schmückt, bis die Lust, die Kohle oder beides schwinden – im Gegenteil: „Bei uns spielt keiner für Geld“, berichtet Rene Karius. Die gute Jugendarbeit macht sich bezahlt, in jeder Altersstufe ist der TSV vertreten, dazu finden die Spieler ein ganz besonderes Umfeld vor, für das Menschen wie Karius ihr Herzblut lassen.
Der TSV erlebt dabei nicht nur ein temporäres Hoch, in der Spangenberger Vereinschronik wiederholt sich immer wieder das Wort „Eigenleistung“. „Natürlich gibt es aber auch mal Dellen“, relativiert Karius, aber im Moment könnte es wohl kaum besser sein. Zu den Heimspielen begrüßt der Kreisoberligist regelmäßig um die 150 Zuschauerinnen und Zuschauer auf dem Liebenbachsportplatz, auswärts kommen 30 bis 40 Fans mit. Der Großvater will seinen Enkel sehen, der Vater seinen Sohn, der Nachbar den Jungen von nebenan. Auf diese Weise entsteht ein besonderer Zusammenhalt, der das Schmierfett im TSV-Getriebe ist. Die Verbundenheit ist mit dem Schlusspfiff nicht beendet, „hier auf dem Sportplatz sind beispielsweise schon unzählige Jobs zustande gekommen“, weiß Karius. Diese Verbundenheit wird zukünftig auch sichtbar gemacht, auf der Brust der Herrenmannschaften ist seit dieser Saison das Wahrzeichen der Stadt, das Schloss Spangenberg, zu sehen.
Ein Hauch von Bundesliga auf dem Liebenbachsportplatz
Trotz des Engagements für den TSV 1863 – für Karius gibt es noch einen zweiten Verein, den Verein, der die zweite Hälfte seines Herzens ausfüllt: Den 1. FC Köln. Seit dem Doublejahr 1978 ist Rene Karius Anhänger des Geißbockklubs, seinetwegen genießt man auf dem Liebenbachsportplatz den Komfort eines Bundesligastadions. Als man in Köln das Müngersdorfer Stadion abriss und das Rhein-Energie-Stadion hochzog, entsorgte der Effzeh die alten Sitzreihen. „Ich kannte den Hausmeister und rief ihn an“, erzählt Karius. Kurze Zeit später schepperten zwei 7,5-Tonner von Spangenberg nach Köln, um die Kleintransporter mit Stadionsitzen „bis unters Dach“ zu füllen. Seither kann man in der Fußball-Provinz sitzen wie in Köln, sofern man das möchte: „Wir haben auch Gladbach-Fans im Verein, die müssen natürlich stehen“, berichtet Karius, „die behaupten aber hartnäckig, dass sie sich eh niemals daraufsetzen würden.“
Aber wie kommt man auf die Idee, auf eigene Kosten 600 Kilometer durch die Republik zu fahren, um Sitze für den Sportplatz zu besorgen? Eine richtige Erklärung hat Rene Karius dafür nicht parat. „Vermutlich, weil ich bekloppt bin.“ Dabei kommt die Antwort ans Licht, als er eine andere Geschichte erzählt: „Ich bin jetzt seit 32 Jahren in diesem Verein, seit dem Tag, an dem ich nach Spangenberg kam. Wo lernt man denn am einfachsten Leute kennen? Man geht in einen Verein. Dort habe ich sofort Anschluss gefunden.“
Und zumindest das ist bei der SG Uttershausen/Lendorf/Efze genauso.
Anschrift: Liebenbachsportplatz, Jahnstraße 25, 34286 Spangenberg
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