Paulshöhe, Schwerin

Eigentlich könnte man die Geschichte des Sportparks Paulshöhe so erzählen, wie sie von Stadien meistens erzählt wird: Vergangenheitsbezogen. Man könnte davon erzählen, dass der Name der Paulshöhe auf ein Landhaus zurückgeht, das ein Oberst von Elderhorst zu Ehren des verstorbenen Großherzogs Paul Friedrich „Paulshöhe“ nannte, wie Matthias Hufmann auf der Internetseite dieschweriner.de erklärt. Dass dieses Landhaus 1872 an eine Brauerei überging, diese Brauerei zehn Jahre später abbrannte und das Areal trotzdem bis 1920 im Zeichen der Bierherstellung stand. Dass zwei Jahre später der Sportplatz auf der Paulshöhe eingeweiht wurde, „mit zwei Spielfeldern, einer 400 Meter langen Aschenbahn, mit sechs Tennisplätzen und 33.000 Quadratmetern“, wie Hufmann die Beschaffenheit der damals „größte[n] Sportstätte Mecklenburgs“ beschreibt. Dass die Zuschauertribüne 1924 fertiggestellt wurde und damit zu den ältesten Tribünen der Republik gehört. Und dass diese Tribüne auch noch zweckmäßig war, wie Udo Brinker in der Chronik der Stadt Schwerin: von den Anfängen bis zur Gegenwart erklärt: „Im Hohlraum dieser Tribüne hielt der Platzwart neben Sportgeräten auch Schafe“.

Der Europapokal bliebt der Paulshöhe verwehrt

Wenn man die Geschichte des Sportparks Paulshöhe vergangenheitsbezogen erzählt, muss man natürlich von den großen Spielen erzählen, die der Sportpark erleben durfte. Von 28 Spielzeiten in der DDR-Liga, der zweithöchsten Spielklasse der DDR, und den Teilnahmen an den Aufstiegsrunden in den Jahren 1975 und 1984. Oder als der Außenseiter aus Schwerin den übermächtigen Gast Lokomotive Leipzig im Halbfinale des FDGB-Pokals ausschaltete. Mit Andreas Reinke (später u. a. beim 1. FC Kaiserslautern und dem SV Werder Bremen) im Tor und dem damals 18-jährigen Steffen Baumgart im Sturm. Als 5 000 Zuschauerinnen und Zuschauer sahen, wie Stammann in der 16. Minute zum 1:0 traf. Wie Herzberg in der 75. Minute vom Platz gestellt wurde. Das Spiel zweimal kurz vor dem Abbruch stand. Und wie der abstiegsbedrohte Zweitligist am Ende doch in das letzte Endspiel des FDGB-Pokals einzog. Und auch wenn Dynamo Dresden das Finale für sich entschied, was wäre das für eine Geschichte gewesen, wenn das Europapokalspiel gegen Austria Wien – Dresden startete als Meister im Landesmeister-Wettbewerb – aufgrund der fehlenden Tauglichkeit des Stadions nicht in Rostock, sondern eben auf der Paulshöhe stattgefunden hätte.

Wir haben die Pauls­höhe manchmal ​„Anfield“ genannt, weil es so eng war. Die Zuschauer saßen nur einen Meter hinter der Außen­linie. 8000 Fans im Sta­dion konnten die geg­ne­ri­schen Spieler ganz schön ein­schüch­tern. Wenn die bei einer Ecke anliefen, hielten unsere Fans sie an der Hose fest. 

Trainer Manfred Radtke in einem »11 Freunde«-Interview

Genauso gut könnte man die Geschichte des Sportparks Paulshöhe gegenwartsbezogen erzählen. Man könnte erzählen, dass das Spiel, das ich bei meinem Besuch sehe, das einzige Spiel ist, das ich im Jahr 2020 live sehe. Dass die Pandemie seit Monaten für leere Stadien in der Bundesliga und für die Einstellung des Spielbetriebs in den Amateurligen sorgt. Dass der Gast aus Pampow die Partie mit 1:0 für sich entscheiden wird und ich nur ins Stadion komme, weil gerade ein Zuschauer den Heimweg antritt – schließlich dürfen nur handgezählte 420 Menschen dieses Spiel sehen, obwohl „bis zu 1000 Zuschauer […] locker zu der Partie gekommen“ wären, wie der Sportbuzzer später schreiben wird. Es könnte eine Corona-Geschichte über vermeintlich wegweisende Veränderungen im Fußball werden, die letztendlich ausbleiben.

Das Spiel in Wien fand am Tag der deut­schen Ein­heit statt: am 3. Oktober 1990. Wir sind also einen Tag zuvor als Sozia­listen hin­ge­reist und kehrten als Kapi­talsten heim.

Trainer Manfred Radtke in einem »11 Freunde«-Interview

Man muss die Geschichte des Sportparks Paulshöhe aber auch zukunftsbezogen erzählen, denn die Zukunft der Paulshöhe ist völlig offen. Bei dem Spiel, das ich im Herbst 2020 besuche, haben viele Anhänger aus Rostock den Weg in die Landeshauptstadt auf sich genommen, um auf dem „Donnerberg“, der Hintertortribüne, für den Erhalt des Sportparks zu kämpfen. Seit rund 20 Jahren wird mit dem Gedanken gespielt, den Sportpark abzureißen, wie Dynamo-Fan Christian im Podcast „Paulshöhe erhalten!“ von footballwasmyfirstlove berichtet. Die Ausgangssituation ist alles andere als exklusiv: Die Stadt Schwerin möchte sich die fünf Millionen Euro teure Sanierung der Paulshöhe ersparen, um stattdessen das Gebiet für mindestens sechs Millionen Euro zu verkaufen.

Es gibt viele Ideen, was man mit dem Areal machen könnte: Eine Waldorfschule könnte hier entstehen, auch ein Baugebiet wäre denkbar, schließlich ist die Lage im Villenviertel mit zwei Seen, dem Schweriner Schloss und dem Schlossgarten einzigartig. Es ist eine Geschichte von partiellem Denkmalschutz, von kuriosen Abstimmungen in Parlamenten und Menschen, die auf meine Anfragen nur einsilbig reagieren, wenn sie sich denn überhaupt melden.

Die aktuelle Tendenz für die Paulshöhe ist eine „Mischnutzung“

Und während ich diesen Bericht immer wieder überarbeite, trifft sich der Hauptausschuss der Schweriner Stadtvertretung an einem Dienstagabend im Oktober 2021. „Mit deutlicher Mehrheit hat das zweithöchste politische Gremium der Stadt Schwerin beschlossen, dem Kompromissvorschlag des Ortsbeirates Gartenstadt, Ostorf zu folgen und eine Mischnutzung des Areals für Schule, Wohnungsbau, Freizeit und Sport zu empfehlen“, berichtet die Schweriner Volkszeitung, aber „beschlossen ist damit aber die Art der Bebauung noch lange nicht“. Der Vorschlag muss jetzt noch durch mehrere Gremien, bevor er umgesetzt werden kann, die Vorhaben der AfD (Erhalt des Sportparks) und der CDU (reine Wohnbebauung) werden abgeschmettert.

So, so oder so, die Geschichte der Paulshöhe geht in die nächste Runde.

Anschrift: Sportpark Paulshöhe, Parkweg 7, 19061 Schwerin

Internet: http://paulshöhe-schwerin.de

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