Stadionberg Deutsches Stadion, Oberklausen

Den Koloss von Prora auf Rügen bezeichnet Architekt Daniel Libeskind als „das gebaute Böse“. Worte, die er auch für das Deutsche Stadion hätte wählen können. Ein Stadion, in dem über 400 000 Menschen Platz finden sollten. Ein Stadion, das nie gebaut wurde und das heute trotzdem noch Spuren hinterlässt.

Um sie aufzuspüren, muss man gleich zwei Orte aufsuchen. Der erste ist nicht ohne Grund etwas versteckt und regelrecht unscheinbar. Man muss tief ins Landesinnere Bayerns fahren, bis man die Gemeinde Hirschbach in der Oberpfalz erreicht. Alles wirkt hier etwas eingeschlafen. Die nächsten großen Städte sind Nürnberg und Erlangen, sie liegen (wie die nächste Autobahn) westlich vom Hirschbachtal, im Osten kommt irgendwann die Tschechische Republik. Auch der Stadionberg selbst, das Ziel unserer Reise, bietet nicht die große Bühne. Auf Höhe der Ortschaft Oberklausen liegt er an der AS6, direkt an einem kleinen Lkw-Parkplatz. Zwei Hinweisschilder deuten darauf hin, dass man hier richtig ist.

Auf dem Stadionberg Oberklausen wurde ein Bruchteil des Deutschen Stadions simuliert

Daneben sind es hunderte vermooste, in den Hang gebaute Betonblöcke, die man heute noch auf dem Stadionberg sieht. Seit 2002 stehen sie unter Denkmalschutz. Hitlers Hausarchitekt Albert Speer ließ sie hier einsetzen, um ein Zehntel des Deutschen Stadions zu simulieren. Er wollte wissen, ob man vom obersten Sitzplatz gute Sicht auf die Wettkämpfe auf dem Sportfeld hat. Im Hirschbachtal fand Speer die optimalen Begebenheiten und einen Steilhang mit dem perfekten Neigungswinkel. Mehr als 42 000 Plätze auf fünf Rängen bot das 1:1-Modell, das zwischen 1937 und 1939 entstand. Während dieses Zeitraums, im März 1938, verschaffte sich Hitler selbst ein Bild der Lage. Auf dem Rasen wurden probeweise gymnastische Darbietungen vorgeführt und Speer empfand Sicht und Akustik „besser als angenommen“.

Nach dem Krieg verschwanden die Sitzbänke, die aus besten Langhölzern des bayrischen Walds hergestellt wurden. Sie dienten dem Wiederaufbau des Nachbarortes Achtel, der am Ende des Zweiten Weltkrieges im Kampf um den Stadionberg fast vollständig zerstört wurde. Auf diese Weise beseitigten die Bewohnerinnen und Bewohner der Gemeinde Achtel das Bauwerk, das ihnen zum Verhängnis wurde.

Es ist kein Zufall, dass für Diktatoren Architektur so wichtig war. Sie hatten die Maschinerie verstanden. Der Bau von Wohnungen und Gebäuden und die Stadt selbst schaffen einen bestimmten Geist, einen bestimmten Menschentyp, den sie brauchen, weil dieser Menschentyp das tut, was sie ihm sagen. Also ja, Architektur hat eine große Verantwortung dafür, wer wir sind.

Daniel Libeskind

Im rund 50 Kilometer entfernten Nürnberg entdeckt man die zweite Spur des Deutschen Stadions. Zeitgleich mit dem Bau der Versuchstribüne begann man mit den Ausschachtungen für das Deutsche Stadion auf dem Reichsparteitagsgelände. Über den Status einer Baugrube kam das Deutsche Stadion an dieser Stelle aber nie hinaus. Nach dem Zweiten Weltkrieg füllten sich die Gruben mit Grundwasser, heute findet man dort den Silbersee und den Silberbuck. Das Baden im Silbersee ist strengstens untersagt: Über viele Jahre wurden dort Müll und Kriegsschutt deponiert, wodurch der See stark mit Schwefelwasserstoff belastet ist und bis heute rund 50 Menschenleben forderte.

Warum die Süddeutsche das Deutsche Stadion als „das möglicherweise größenwahnsinnigste aller größenwahnsinnigen NS-Bauwerke“ bezeichnet, belegen die Zahlen: Mit einer Länge von 580 Metern, einer Breite von 225 Metern und einer Fassadenhöhe von 85 Metern gab es nie wieder Pläne für ein vergleichbares Stadion. Das Vorbild, das Panathinaiko-Stadion von Athen, hatte mit einem Fassungsvermögen von 50 000 Plätzen nur ein Achtel der Kapazität, die das Deutsche Stadion haben sollte. Wie beim griechischen Vorbild war die Hufeisenform für das Deutsche Stadion markant, ein Ehrenhof sollte dem Stadion vorgelagert sein, Aufzüge und Rolltreppen sollten die Zuschauerinnen und Zuschauer auf ihre Plätze bringen.

Im Deutschen Stadion sollte kein Fußball gespielt werden

Die Maße des Spielfeldes entsprachen mit 350 mal 150 Metern nicht denen der olympischen Norm, was Hitler wenig störte: „Ganz unwichtig. 1940 finden die Olympischen Spiele noch einmal in Tokyo statt. Aber danach, da werden sie für alle Zeiten in Deutschland stattfinden, in diesem Stadion. Und wie das Sportfeld zu bemessen ist, das bestimmen wir.“ In diesem einseitigen Diskurs ging es nicht um die Ausmaße eines heutigen Fußballfeldes: Fußball sollte im Deutschen Stadion nicht gespielt werden. Gut, dass überhaupt nie die Möglichkeit dazu bestand.

Anschrift: Stadionberg, Oberklausen, 92275 Hirschbach | Dokumentationszentrum Reichsparteitagsgelände, Bayernstraße 110, 90478 Nürnberg | Silbersee Nürnberg, als Parkmöglichkeit bietet sich die Esso-Station in der Münchener Straße 281, 90471 Nürnberg an

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