Mit ein bisschen Selbstironie geht man am Niederrhein inzwischen mit dem legendären Skandalspiel um, sonst hätte man einen Raum in der Sportsbar am Stadion nicht auf den Namen „Büchsenwurf“ getauft. Im Achtelfinale des Europapokals der Landesmeister hatte Borussia Mönchengladbach den italienischen Meister Inter Mailand zu Gast, fegte die Nerazzurri mit 7:1 vom Platz und zeigte ein Spiel, „das bis heute als das beste gilt, das eine deutsche Mannschaft im Europapokal abgeliefert hat“ (Martin Kaluza in Fußballwunder).
Eine Dose, viele Geschichten
Der Ausgang der Partie ist so bekannt wie das Ende bei Frau Holle. Mailands Roberto Boninsegna wurde angeblich von einer Cola-Dose getroffen, musste ausgewechselt werden und das 7:1 wurde annulliert. Beim Wiederholungsspiel in Berlin kam man über ein 0:0 nicht hinaus und da man in Italien 2:4 verloren hatte, war die Borussia die Pechmarie des europäischen Fußballs.
Wie immer gibt es bei solchen Spielen eine Armada von Legenden, Mythen und Verschwörungstheorien: War die Büchse voll, wie die Italiener behaupten? War sie „beim Aufprall halb leer“, wie der Schiedsrichter der Partie, Jef Dorpmans, 40 Jahre später zu Protokoll gab? Oder war sie leer, wie ein Tribünengast an der „runden Flugbahn“ erkannt haben will? Wurde Boninsegna überhaupt getroffen? Wenn ja, an der Schulter? Am Kopf? Am Rücken? Warum konnte das Rote Kreuz keine Beule entdecken – im Gegensatz zum französischen UEFA-Delegierten? Und welche Rolle spielte die Tatsache, dass „in den UEFA-Gremien viele Italiener saßen“, wie Jupp Heynckes zu bedenken gab?
Roberto Boninsegna wurde tatsächlich Schauspieler: Er spielte 1983 im Terence Hill-Klassiker »Keiner haut wie Don Camillo« mit – zusammen mit Carlo Ancelotti.
Genug Stoff für einen Eklat, genug Gründe für die deutschen Fußballfans, das Spiel auf Platz vier der „Kuriosesten Fußball-Momente“ zu wählen. Dort wird der Spannungsbogen künstlich in die Höhe gemauschelt, indem man Boninsegnas Faller in die Schlussphase lügt. „Kurz vor dem Abpfiff“, heißt es dort im O-Ton, sei die „große schauspielerische Leistung erbracht worden“, wie Rainer Bonhof den Vorfall nennt. Dabei ereignete sich der Dosenwurf bereits in der 28. Minute – beim Spielstand von 2:1. Dass Inter Mailand zu diesem Zeitpunkt bereits ein wichtiges Auswärtstor erzielt hatte, wird in Gladbachs ganz eigener „Loose change“ gerne unterschlagen.
Auch das Schicksal von Manfred Kirstein, der als mutmaßlicher Werfer identifiziert, aber später freigesprochen wurde, findet wenig Interesse. Kirsteins Familie wurde belästigt und bedroht, wie Uli Hesse in Wie Österreich Weltmeister wurde berichtet. Auch sei Kirstein nie wieder in ein Stadion gegangen. Als „Büchsenwurfspiel“ ging dieser legendäre Europapokalabend von 1971 in die Geschichtsbücher ein, auch der „Pfostenbruch vom Bökelberg“ oder Netzers Selbsteinwechslung im Pokal gegen den 1. FC Köln stehen für die goldenen Jahre der Borussia.
Und dann simmer noch UEFA-Pokal-Sieger geworden. Das war super. Das Spiel. Vier Tage besoffen!
Die Fohlen-Omi »Walli« Hamraths in der WDR-Reihe »Mein Verein«
Pilgerstätten bietet der Verein zur Genüge. Die spärlichen Reste des Bökelbergs (in die ein Wohngebiet gepflanzt wurde) zum Beispiel. Die kürzlich eröffnete Fohlenwelt. Oder die Bronze-Plastik „Fohlen-Kicker“, die in der Fußgängerzone des Mönchengladbacher Stadtteils Eicken steht und nur einen Katzensprung vom alten Stadion entfernt liegt.
Der Bildhauer Bonifatius Stirnberg hat das rund 50 Kilo schwere Denkmal im Jahr 1975 geschaffen. Es zeigt die drei Gladbacher Legenden Berti Vogts, „Hacki“ Wimmer und Günter Netzer. 1981 wurde es aufgestellt und befindet sich an der Einmündung von der Schwogen- in die Eickener Straße, unmittelbar vor dem grün-schwarz-affinen Speiselokal Alt Eicken und nur wenige Gehminuten vom „Monte Graniti“ entfernt, einem 8,5 Tonnen schweren und 180 Zentimeter Durchmesser umfassenden Granit-Fußball.
Von Vandalen zerstört
Der Fohlen-Kicker wurden von der örtlichen Stadtsparkasse gestiftet und gehört zur Skulpturenmeile, einer 50 Skulpturen umfassenden und 5,7 km langen Kunstmeile. Nachdem das Denkmal 2011 Opfer von Vandalismus wurde, erstrahlt seit seiner Restaurierung wieder in neuem Glanz.
Anschrift: Eickener Str. 149, 41061 Mönchengladbach
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