Das RB Leipzig der Neunzigerjahre hieß Tennis Borussia Berlin. Mit dem Argument der fehlenden Tradition konnte man der 1902 gegründeten Borussia zwar nicht kommen, aber das Invest der Göttinger Gruppe war vielen Fußballfans ein Dorn im Auge. „TeBe“ sollte eine profitable Tochterfirma des niedersächsischen Finanzdienstleisters werden und dafür von der Regionalliga bis in das internationale Geschäft emporsteigen. Namhafte Bundesligaspieler wie Francisco Copado oder Bruno Akrapovic wechselten in die dritte Liga, die Bosse der Göttinger Gruppe nahmen leitende Vorstandspositionen ein: Erwin Zacharias saß dem Aufsichtsrat vor, Kuno Konrad wurde zum TeBe-Präsident. „Tennis Borussia wurde damit zunehmend zur Projektionsfläche aller Ängste vor einer Kommerzialisierung des Fußballs“, wie die 11FREUNDE erklärt.
Kapital in Höhe von einer Milliarde Euro ist verschwunden. Über 250.000 Anleger sind geschädigt und um ihre Altersvorsorge gebracht worden.
Der NWS-Verlag über die Göttinger Gruppe
TeBe gelang der Aufstieg in die 2. Bundesliga und fast sogar der Durchmarsch in die erste Liga, aber im Jahr darauf geriet die mit Spitzenspielern gespickte Mannschaft – dem bis dato teuersten Zweitligakader aller Zeiten – in den Abstiegskampf. Sportlich hielt man die Klasse, scheiterte aber im Lizenzierungsverfahren an den Machenschaften der Göttinger Gruppe, die mit dem Vorwurf des Anlagebetrugs in Verbindung gebracht wurde. Tennis Borussia verschwand aus dem Profifußball und fand sich erst in der sechsten Liga wieder, geblieben sind aus dieser Zeit unzählige Anekdoten.
Ich saß auf der Bank neben Sergei Kiriakov und Francis Copado. Wir haben uns das Spiel angeguckt und waren alle der Meinung, dass es nicht so gut läuft. Dann sagte ich zum Linienrichter: „Auszubildender, wir wechseln gleich.“ Das hat er dann tatsächlich gemacht. Er hat dann wirklich die Fahne hoch gehoben und sein okay gegeben. Ich stand dann da ohne mich warm gemacht zu haben.
Ansgar Brinkmann in einem Interview mit Transfermarkt.de
Die Geschichte von Tennis Borussia Berlin kann und darf man nicht auf die Episode mit der Göttinger Gruppe reduzieren. „Tennis Borussia ist in den 1920er Jahren ein hochmoderner Fußballverein“, heißt es auf dem Informationsschild der Fußballroute Berlin vor dem Mommsenstadion. Hinter der dominierenden Hertha war man zwar „nur“ die Nummer zwei in Berlin, stellte aber „als erster Klub in Deutschland einen Geschäftsführer ein“. Dem bekanntesten Mann dieser Ära wurde eine Gedenktafel gewidmet, die man seit 1997 im Stadion findet: Sepp Herberger spielte seit 1926 für Tennis Borussia Berlin und stand danach für TeBe an der Seitenlinie.
In der jüngeren Vergangenheit sorgte der Verein durch seine Anhängerschaft für Schlagzeilen. Als ein Sponsor seinen Einfluss erweitern wollte und mehrere hundert Mitglieder in den Verein einschleuste – die 11FREUNDE sprach dabei von mit Bussen angekarrten Bulgaren –, protestierten die Fans auf ihre ganz eigene Art: „Eine Gruppe von 70 bis 100 TeBe-Fans [tourt] durch die Republik und feuert Mannschaften aus der ganzen Republik an – nur nicht mehr ihre eigene“, heißt es in der Ausgabe 210 aus dem Jahr 2019. Per Zeitungsannonce konnte der „Caravan of love“ gebucht werden, fremdgegangen wurde u. a. in Leipzig, Wiesbaden und ganz viel in Berlin.
Die Fanszene im Mommsenstadion ist keine wie jede andere
Die Anhängerschaft der Veilchen ist aber grundsätzlich „keine beliebige“ ist, wie die 11FREUNDE erklärt: „Selbstironie und der Kampf gegen Homophobie wurden zu einem Wesenskern der Fanszene, als beides in deutschen Kurven nicht gerade weit verbreitet war“.
Zuhause ist sie in einem Stadion, das Austragungsort der Olympischen Spiele war. Als die erste Partie der Propaganda-Spiele 1936 im Mommsenstadion angepfiffen wurde, war der 1930 eröffnete Platz gerade einmal sechs Jahre jung. Herzstück war schon damals die 104 Meter lange und sich durch zwei charakteristische Treppentürme auszeichnende Haupttribüne, die 1934 aus Kostengründen an das Mommsen-Gymnasium vermietet werden musste. In diesem Zuge erhielt das Stadion, das bis dahin SCC-Stadion hieß, seinen heutigen Namen. (Literatur-Nobelpreisträger Theodor Mommsen verstarb 1903 in Charlottenburg.) Etwas weniger als 40 000 Plätze bot das „Mommse“ damals, davon 36 000 Stehplätze.
Als TeBe Berlin nach dem Zweiten Weltkrieg ins Mommsenstadion einzog, waren 75 Prozent der Stadionanlage zerstört. Die Kapazität wurde verringert, fortan fanden nur noch 18 000 Zuschauerinnen und Zuschauer Platz (heute knapp 15 000, davon rund 1 800 auf der Tribüne). Für die Spiele der Borussia reichte das locker aus, selbst zu der vermeintlich goldenen Zeit unter der Göttinger Gruppe strömten nicht gerade Massen in das unter Denkmalschutz stehende Stadion.
Im Mommsenstadion wurde TeBe lange Zeit nicht heimisch
Richtig heimisch fühlten sich die TeBe-Fans in der Vergangenheit eh nie an der Waldschulallee, wie Das große Buch der deutschen Fußballstadien berichtet. Die Anhängerschaft unterstützte Umzugspläne in den Friedrich-Ludwig-Jahn-Sportpark und wünschte sich eine Rückkehr ins Poststadion. Prominenten Besuch erhielt das Mommsenstadion zuletzt während der Weltmeisterschaft 2006, als es als Trainingsplatz diente.
Als die „11FREUNDE“ 2012 die „99 Orte, die Fußballfans gesehen haben müssen“ veröffentlichten, war das Mommsenstadion nicht aufgeführt. In der Liste der 150 Orte aus Ausgabe 223 nennt SPD-Politiker Kevin Kühnert das Stadion als seinen Lieblingsort. „Aus Leere etwas Schönes machen“, sagt Kühnert und bezieht sich auf den Charme der Tristesse des Mommsenstadions, „so läuft das bei Tennis Borussia“.
Anschrift: Mommsenstadion, Waldschulallee 34–42, 14055 Berlin
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