Die Highlights sind bereits kurz vor Schwerborn angeschlagen: „Tierfriedhof“ steht auf einem Schild, „Deponie“ auf einem anderen. Die Top-Sehenswürdigkeit des Ortes ist allerdings nicht ausgeschildert: Der Sportplatz des SV Schwerborn.
Der hat es 2015 als „schrägster Sportplatz Deutschlands“ bis in die Bild-Zeitung geschafft. Dabei schrieb die „11FREUNDE“ diesen Titel bereits drei Jahre zuvor dem Spielfeld in Kleinolbersdorf zu. Dass sich Kleinolbersdorf und Schwerborn dennoch nicht in die Quere kommen, hat mit der Definition von schräg zu tun: Während das Kleinolbersdorfer Spielfeld einen Höhenunterschied von knapp sieben Metern aufweist, unterscheidet sich in Schwerborn die Länge der Seitenlinien um 13 Meter: Die eine Seite misst 99,3 Meter, die andere 112,3 Meter. Möglich ist das, weil in den Regularien von-bis-Angaben aufgeführt sind, keine festen Maße.
„Der war halt schon immer schief“, sagt Frank Bauer. „Beim Abkreiden hat ja immer alles gepasst: Die Torlinien haben gepasst, der Sechzehner hat gepasst, der Fünfer hat gepasst, hat ja eigentlich alles gepasst, bis halt mal ne Drohne über den Platz geflogen ist“, so der ehemalige Abteilungsleiter Fußball des SV Schwerborn. Jahrzehntelang fiel niemandem auf, dass mit dem 1974 angelegten Spielfeld etwas nicht stimmt, bis die Technik das Trapez enttarnte und „eine Lawine“ auslöste, wie es auf fussball.de heißt, mit der Ergänzung, dass der Verein alle diesbezüglichen Anfragen abblockt.
Das Geheimnis liegt in der Nacht vor der Sportplatz-Einweihung
Sieben Jahre später ist man in Schwerborn glücklicherweise wieder auskunftsfreudig: „Das war die Hochzeit meiner Präsidentschaft“, erzählt Uwe Nagel am Telefon, „an diese Zeit habe ich schöne Erinnerungen“. Nagel hat in seiner Amtszeit viel bewegt, vom Flutlicht bis zum vereinseigenen Kleinbus. Um den Standard zu halten, fehlten in dem 600-Seelen-Örtchen ehrenamtliche Helferinnen und Helfer. Inzwischen liegt die Fußball-Abteilung brach, auf dem Schwerborner Sportplatz trainiert der FC Mediengroup, der hier auch ab und an seine Heimspiele austrägt. „Ich habe immer eine Träne im Auge, wenn ich aus dem Fenster schaue“, sagt Nagel, der direkt neben dem Platz wohnt.
Warum der Platz trapezförmig war, wollte Uwe Nagel der „Bild-Zeitung“ vor sieben Jahren nicht verraten. Auch uns will er keine Auskunft dazu geben. Muss er auch nicht, denn wir hören die Legende bei unserem Besuch in Schwerborn: Dort erzählt man sich, dass man schon am Tag vor der Sportplatzeinweihung feierte – und die Spielfeldabgrenzung und deren Umrandung nachts noch schnell anlegte, dabei aber nicht mehr ganz nüchtern gewesen sei. Da die Stadt Erfurt im November 2021 die Länge der Seitenlinien anpasste und die Tore versetzte, ist nur noch die Spielfeldumrandung trapezförmig – sein Alleinstellungsmerkmal hat der Platz damit verloren. Allerdings hat auch Kleinolbersdorf in unmittelbarer Nähe zum alten, schrägsten Sportplatz Deutschlands ein neues, modernes Spielfeld und nutzt die Touristenattraktion nur noch als Trainingsplatz.
Deutschlands schiefster Sportplatz in Erfurt-Schwerborn ist nicht mehr schief
Aber wie definiert man das Wort „schräg“ in den Naturwissenschaften und welcher Platz war nun wahrlich schräg? „Was gemeint ist, ergibt sich immer aus dem Kontext. Insofern kann die Frage nicht eindeutig geklärt werden“, erklärt Professor Dr. Metin Tolan. Der Dekan der Universität Göttingen hat u. a. das Buch „Manchmal gewinnt der Bessere: Die Physik des Fußballspiels“ geschrieben. „Aber bei einem Fußballplatz würden wahrscheinlich 99 % aller Menschen unter ‚schräg‘ eine Abweichung in der Vertikalen vermuten und nicht in der horizontalen Richtung. Daher ist der ‚schrägste Fußballplatz‘ sicher derjenige mit dem größten Höhenunterschied“, so Metin Tolan.
„Sowas gibt es bei uns in Erfurt auch, dafür muss man nur nach Schmira fahren, da spielt man eine Halbzeit bergauf, eine bergab“, sagt Uwe Nagel. Beim Blick aus dem Fenster sieht er nun definitiv nicht mehr den schrägsten Sportplatz Deutschlands. Die konkurrenzlose Sehenswürdigkeit Schwerborns bleibt damit die Mülldeponie. Die ist sogar in dem Reiseführer „111 Orte in und um Erfurt, die man gesehen haben muss“ gelistet. Der Schwerborner Sportplatz war dort niemals aufgeführt.
Anschrift: Schiefster Sportplatz Erfurt-Schwerborn, Stotternheimer Ch 1, 99195 Erfurt
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