Historisch wertvoll ist der Ort. Ein riesiges Stadion stand hier mal und Olympia 2000 sollte hier stattfinden. Aber so geschichtlich vorbelastet er ist, so nichtssagend ist dieser Ort mittlerweile. Standardbau an Standardbau reihen sich aneinander, wenn man an der U-Bahn-Station Schwartzkopffstraße aussteigt, die Stufen nach oben geht und einen Blick auf die Chausseestraße wirft. Der Bundesnachrichtendienst hat sich hier seit 2006 ein neues Domizil gebaut, auf der rund 260 000 Quadratmeter großen Fläche werden (irgendwann) 4 000 Mitarbeiter beschäftigt.
Rund 90 Jahre früher, 1927, wurde an dieser Stelle das Polizeistadion eröffnet, das im Krieg zerstört wurde (zuvor diente die Fläche erst als Exerzierplatz, später wurde darauf eine Kaserne errichtet). Um im Osten Berlins eine Sportstätte für Großveranstaltungen zu haben, beschloss man im April 1949 den Ausbau des Stadions Mitte (wie es mittlerweile hieß). Ein knappes Jahr später wurde das erst 60 000, später 70 000-Mann-Stadion, das mit den „schönsten und größten Grünanlagen Berlins“ (Rundschau) sowie weiteren Fußball-, Tennis- und anderen Sportplätzen gesegnet war, eröffnet. Namensgeber war von nun an Walter Ulbricht, bis 1971 Staatsratsvorsitzender und damit bedeutendster Politiker der DDR. Die West-Berliner Presse ignorierte den Namen und sprach weiter vom Stadion Mitte, im Volk setzte sich die Bezeichnung „Zickenwiese” durch, die man von Ulbrichts Bart ableitete.
Mehrere Ost-West-Duelle
Politische Großveranstaltungen fanden von nun an regelmäßig an der Berliner Chausseestraße statt, selten konnte man damals Sportereignisse getrennt vom politischen Geschehen betrachten: Die Weltfestspiele der Jugend und Studenten von 1951 oder die Friedensfahrt der Radsportler von 1955 – immer war der DDR-Bonze mit im Spiel. Von 1954 bis 1961 lief mit Dynamo Berlin der Stasi-Klub hier auf, 1953 fand hier das erste Aussöhnungsspiel zwischen Ost- und West-Berlin statt, das in Gedenken an die Unruhen vom 17. Juni 1953 ausgetragen wurde. 1959 kam es hier sogar zu einem deutsch-deutschen Duell, da die Qualifikation zur Olympiade in Rom nur einen Teilnehmer zuließ. Der Westen setzte sich unter Ausschluss der Öffentlichkeit letztendlich durch.
Im „Wembley der DDR“ fanden die Endspiele um den FDGB-Pokal statt (erstmals 1950, regelmäßig von 1975 bis zur Wiedervereinigung). Die Länderspielbilanz der DDR liest sich hier so: Sieben Siege, vier Niederlagen bei zwei Unentschieden in dreizehn Partien.
Das Walter-Ulbricht-Stadion wird zum „Stadion der Weltjugend“
Im Laufe der Jahre wurde die Sportstätte, die zu den Weltjugendfestspielen 1973 in „Stadion der Weltjugend“ umbenannt wurde, immer wieder renoviert, wodurch das Fassungsvermögen nach und nach auf 50 000 Plätze sank. Fußballerische Glanzlichter sah es (neben den FDGB-Pokalendspielen) noch bei den Derbys zwischen Union und Dynamo und bei den Europapokalspielen des ASK Vorwärts Berlin.
Nach der Wende verfiel das Stadion nach und nach und wurde 1992 für 32 Millionen DM abgerissen. Die Olympiahalle, die hier für die Spiele 2000 gebaut werden sollte, wurde nie errichtet, da man statt in Berlin in Sydney um Medaillen kämpfte. Das Stadion wurde als Anlage für Golf, Beachvolleyball und Mountainbiker zweckentfremdet, ehe im Oktober 2006 der Bundesnachrichtendienst mit dem Bau seiner Zentrale begann. Standardbau neben Standardbau, so öde, dass der Komplex „Umzugskiste“ getauft wurde.
Anschrift: Chausseestraße 44-45, 10115 Berlin
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