Wo von Segen die Rede ist, ist der Fluch meist nie weit entfernt. Seit der Weltmeisterschaft 2006 strömen die Besucher nur so in die Stadien, der Fußball hat das Proletenimage der Achtziger abgelegt und bietet sehr vielen wichtigen Personen eine Plattform. Sie sitzen in den Logen und lassen sich „die Gelder aus der Tasche ziehen“, wie es Uli Hoeneß formuliert.
Neue Stadien gibt es in nahezu jeder deutschen Großstadt mit Bundesliga-Fußball. Die infrastrukturellen Vorteile einer modernen Arena liegen auf der Hand. Da überrascht es wenig, dass man auch als kleiner Verein mithalten möchte und eine Multifunktionsarena braucht, die unbegrenzte Vermarktungsmöglichkeiten bietet, aber – wie in Aachen oder Duisburg – in Punkto Stadionmiete außerhalb der Bundesliga kaum zu finanzieren ist. In der dritten oder vierten Liga spielt man zudem zu selten vor ausverkaufter Hütte.
Bieberer Berg vs. Sparda-Bank-Hessen-Stadion
Die großen Probleme, mit denen man dann zu kämpfen hat, sind natürlich nicht vergleichbar mit denen eines Fußball-Romantikers. Denn unabhängig aller monetärer Sorgen hat sich mit den Logen für viele Fans ein Fluch entwickelt: Der des verlorengegangenen Charmes. Dort, wo früher Fußball-Kathedralen standen, stampft man heute postmoderne evangelische Gemeindehäuser aus dem Boden. So ist der Bieberer Berg ist zwar noch immer das Zuhause der Kickers, die „Mythen“ und „Besonderheiten“, von denen Das große Buch der deutschen Fußball-Stadien spricht, wird man aber kaum im Sparda-Bank-Hessen-Stadion wiederfinden.
Das alte Stadion, 1921 erbaut und eingeweiht, bekam 1949 erstmals einen Rasenteppich. Der damalige OFC-Trainer Paul Oßwald flog eigens nach England, um geeigneten Grassamen auszuwählen. Bis zur Gründung der Bundesliga 1963 spielten die Offenbacher Kickers hier einen der erfolgreichsten Bälle der Republik, nicht selten vor vollem Haus. Für das große Interesse an den Spielen des OFC wurde eine komplett überdachte Stehtribüne errichtet, die der hessische Innenminister Heinrich Zinnkann als „einmalig“ in Deutschland und „vielleicht sogar Europa“ würdigte.
Offenbachs Eiffeltürme
Erst 1968 gelang der Aufstieg in die Bundesliga, der Bieberer Berg hatte mit der 1960 errichteten Sitzplatz-Tribüne und der Erweiterung der Stehränge Ende der Sechziger nun ein Fassungsvermögen von ungefähr 34 000 Plätzen. Ebenfalls 1968 wurde das „Wahrzeichen Offenbachs“ – die Flutlichtmasten – installiert. Die damals hellste Fluchtlichtanlage Europas sollte als „Offenbacher Eiffeltürme“ lange das Markenzeichen des Bieberer Bergs sein. 1994 lehnte es die Borussia aus Mönchengladbach sogar ab, im DFB-Pokal unter Fluchtlicht gegen die Kickers anzutreten, weil man wusste, „was dort für Kräfte freigesetzt werden“.
Der OFC spielte in den Siebziger- und Achtzigerjahren meistens in der 2. Bundesliga, ehe es 1989 für zehn Jahre ins Amateurlager ging. Seit der letztmaligen Erweiterung des Stadions 1973 hatte sich nichts mehr am Bieberer Berg getan und es gab sogar Pläne von Seiten der Stadt, das Gelände an einen Privatinvestor zu verkaufen.
Ein neues Stadion ohne Alleinstellungsmerkmal
Proteste der Fans konnten dies verhindern, nicht aber, dass das Stadion zusehends verfiel. Obwohl in der zweiten Hälfte der Nullerjahre ein neuer Rasen samt Heizung sowie ein neuer Kabinentrakt entstanden, entschloss man sich 2009 für einen Neubau, der im Februar 2012 abgeschlossen wurde. Das neue Stadion kostete „nur“ 25 Millionen Euro, trägt den Namen Sparda-Bank-Hessen-Stadion und fasst knapp über 20 000 Plätze. „Mit zu wenig Geld wird etwas hingestellt, was auf der einen Seite die Entwicklung des OFC zwischen der dritten und zweiten Liga zementiert und auf der anderen Seite die Alleinstellung des Bieberer Bergs auslöscht“, zitierte die FAZ damals einen Beitrag aus einem Offenbacher Fan-Forum.
Als Besonderheit ist auf Wunsch der Fans immerhin eine Gegentribüne errichtet worden, die rein aus Stehplätzen besteht. Sie trägt (wie der Vorplatz des Stadions) den Namen des Offenbacher Ehrenpräsidenten Waldemar Klein und ist in der „11 Freunde“ als Ort Nummer 44 registriert, den Fußballfans gesehen haben müssen. Waldemar Kleins Stellenwert für den Verein zeigt die Anekdote aus dem Jahr 1995, die der Frankfurter Rundschau entnommen ist:
Da stand er, der Ehrenpräsident des OFC. Auf einer umgestülpten Mülltonne. Ein Fels im Meer der vor Wut rasenden Kickers-Fans. Sie wollten den Spielern ans Leder, denen, die sie, wie schon so oft, enttäuscht hatten. Und was tat Waldemar Klein da droben auf seinem seltsamen Podest? Er sang. »Der OFC«, hob der damals 75-Jährige mit zunächst noch leiser, aber fester Stimme an, »wird niemals untergeh´n.«
Selbst um den Erhalt des Namens „Waldemar-Klein-Tribüne“ mussten die OFC-Anhänger kämpfen, da es Ideen gab, die Namensrechte der Stehtribüne zu veräußern. Der Vorschlag kam nicht von den Fans. Er kam von Leuten, die in den Logen sitzen.
Anschrift: Waldemar-Klein-Platz 1, 63071 Offenbach (Main)
Internet: http://www.ofc.de/stadion/sparda-bank-hessen-stadion
Schreibe einen Kommentar