Als die Spieler des FC Kilia Kiel auf den Platz am Hasseldieksdammer Weg auflaufen, um im Freundschaftsspiel gegen den Duisburger SV anzutreten, da tun sie das erstmals im Schatten ihrer neuen Tribüne. Es ist der 9. Juni 1919 und keiner wird daran denken, dass diese Tribüne einmal die älteste noch existierende Norddeutschlands sein wird.
Der Verein spielte damals bereits seit sechs Jahren im Osten der Stadt, im August 1913 wurde der Platz eingeweiht. „Der damalige Vorsitzende Emil Netlitz sorgte dafür, dass der am 23. Juli 1902 gegründete FC Kilia als einer der ersten Kieler Vereine einen für damals längst noch nicht selbstverständlichen eigenen Sportplatz bekam“, erklärt Reinhard Gusner auf sportbuzzer.de. In ihren Anfangsjahren spielten die Kilianer gelegentlich auf dem Wilhelmsplatz und regelmäßig auf dem Gutenbergplatz, dem heutigen Professor-Peters-Platz.
Die Tribüne im Kilia-Stadion kostete 25 000 Goldmark
Emil Netlitz war es auch, der nach dem Ersten Weltkrieg den Bau der Tribüne forcierte und sich um deren Finanzierung – 25 000 Goldmark – kümmerte. Der Entwurf stammte aus der Feder von Netzlitz‘ Schwager Walter Müller, der Bau erfolgte von der Firma Müller aus der Brunswiker Straße.
Wer in den Zwanzigerjahren einen der 220 Plätze auf der Holztribüne ergattern konnte, erlebte die beste Zeit des Vereins: 1925, 1926 und 1927 nahmen die Kilianer an der Norddeutschen Meisterschaft teil. Als Jahrzehnte später namhafte Persönlichkeiten wie Ernst Happel oder Günter Netzer auf der Tribüne saßen, um Kilias Tobias Homp zum HSV zu transferieren, sahen sie viertklassigen Verbandsliga Fußball. Teilweise fanden sich dafür über 4 000 Menschen im Kilia-Stadion ein, während Holstein in der Oberliga vor rund 700 Zuschauerinnen und Zuschauern kickte. Dass sich der FC Kilia seit über einhundert Jahren immer hinter dem Lokalrivalen einreihen muss, sollte insbesondere für die ersten Jahre richtig eingeordnet werden: Holstein gehörte in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts zu den besten Mannschaften des Landes und hat sogar einen deutschen Meistertitel im Briefkopf stehen.
Die Holstein-Fans kämpften für den Erhalt der Tribüne
Den Zweiten Weltkrieg überstand die Holztribüne im Kilia-Stadion weitestgehend unbeschadet, obwohl Kiel in insgesamt 90 Luftangriffen bombardiert wurde. Der zeitbedingte Verschleiß der Tribüne stellte im neuen Jahrtausend die weitaus größere Herausforderung dar. „Der Zahn der Zeit hat besonders an den hölzernen Bauteilen genagt“, schrieben die Kieler Nachrichten, der Holstein-Block präzisierte: „Das Dach ist löchrig, Fenster sind entglast und selbst die alten Sitzbänke sind teilweise eher notdürftig repariert.“ Als die finanzielle Situation des FC Kilia keine Instandsetzungen zuließ und die Sperrung der Holztribüne drohte, kämpften selbst Fans vom Nachbarn und ewigen Rivalen Holstein für den Erhalt der Tribüne.
Der Star ist das Stadion
Kieler Nachrichten
2009 wurde das Dach erneuert, fünf Jahre später folgte die Rückwand. Trotz der hohen Kosten gab es beim Kieler Traditionsverein nie den Gedanken an einen Abriss der Tribüne: „So ein Bauwerk kann man nicht einfach wegschieben, das ist Tradition, das gehört dazu“, sagte Vereinsvorstand Sönke Spethmann 2014 den Kieler Nachrichten.
Die Finanzierung konnte gestemmt werden, 2019 feierte der FC Kilia das hundertjährige Jubiläum der Tribüne, die auch von den Baltic Hurricanes genutzt wird (und die ein Grund für deren Zahlungsunfähigkeit war, wie die Footballer 2018 im Rahmen ihrer Insolvenz mitteilten). Der Einzug der Hurricanes sorgte für Veränderungen auf dem Kilia-Platz, so wurde eine provisorische Tribüne aufgestellt und ein VIP-Raum eingerichtet. In naher Zukunft wird das Rasenfeld in einen Kunstrasenplatz umgewandelt.
Der Holstein-Platz hatte bereits 1911 eine Tribüne
Ursprünglich ließ Holstein Kiel selbst beim Tribünenbau den FC Kilia hinter sich. Die „Störche“ errichteten ihre Tribüne bereits 1911 und weihten sie im selben Jahr ein. Damit wollte man die VIPs jener Zeit abgreifen, die „Wohlhabenden und Einflussreichen der Stadt Kiel, die den Weg zum Fußball aus Furcht, sich die Schuhe dreckig zu machen, bis dato zumeist gemieden hatten“, wie es in 100 Jahre Holstein Kiel heißt. Zehn Jahre nach dem Bau der Tribüne wurde sie aber im Jahr 1921 zerstört, so wie auch die 1909 errichtete Tribüne des SV Victoria Hamburg. In Kiel war es ein Unwetter, in Hamburg ein Brand. Und so hat der Kilia-Platz im Rennen um die älteste noch existierende Tribüne Norddeutschlands die Nase vorn.
Anschrift: Kilia-Stadion (Kilia-Platz), Hasseldieksdammer Weg 165, 24114 Kiel
Schreibe einen Kommentar