Hans-Joachim Watzke erinnert mit seinen Gesten an Loriot als Opa Hoppenstedt. Inbrünstig singt er die BVB-Hymne „Wir halten fest und treu zusammen“ und bewegt dazu seine Faust so leidenschaftlich, als würde er einen Heeresmusikkorps anführen. Jürgen Klopp wirkt daneben wie ein Langzeitstudent, der geduldig das Geld für den Friseur spart. Seine Sonnenbrille soll kaschieren, was jeder weiß: Klopp ist so breit wie sein Grinsen. Es ist ein besonderer Moment in der jüngeren Dortmunder Vereinsgeschichte: Watzke und Klopp stehen zusammen mit anderen Offiziellen und der Mannschaft auf einem Wagen und feiern die deutsche Meisterschaft 2011. Sie feiern im Norden der Stadt. Sie feiern im Rund des Borsigplatzes.
„Am Borsigplatz laufen sechs Straßen sternförmig auf den heute unscheinbaren Kreisverkehr zu“, erklärt das Buch 111 Fußballorte im Ruhrgebiet, die man gesehen haben muss, „die mit Platanen eingefasste Grünfläche im Inneren wird nur von der Stadtbahnlinie U44 durchschnitten.“ Dass es sich rein rechtlich gar nicht um einen Kreisverkehr handelt, da vor den Zufahrten fehlen die Kreisverkehrsschilder, ist unwesentlich.
Die Heimat des BVB sind der Borsigplatz und der Dortmunder Norden
Wichtiger ist die Bedeutung, die der Borsigplatz in mehrfacher Hinsicht für Borussia Dortmund hat. Da sind die vielen kleinen Randgeschichten: Dass BVB-Legende Max Michallek am Borsigplatz ein Sporthaus hatte oder Dortmunds erster Nationalspieler August Lenz an der Ecke Borsigstraße bis 1988 33 Jahre lang hinter dem Tresen seiner „Sportlerklause“ stand. Aber eben auch die ganz offensichtlichen Marker der Vereinshistorie: Der Gründungsort der Borussia, die Gaststätte „Zum Wildschütz“, ist nur einen Katzensprung vom Borsigplatz entfernt; heute ist die Frittenbude Pommes Rot-Weiß in dem Eckhaus in der Oesterholzstraße zuhause. Und unweit des Wildschütz, im Bereich des heutigen Hoeschparks an der Lünerstraße, befand sich mit der „Weißen Wiese“ einst der erste Sportplatz des BVB und damit die eigentliche Heimat des Vereins, bis die Borussia in der NS-Zeit durch den Bau des Hoeschparks 1937 in den Dortmunder Süden zur Roten Erde zwangsversetzt wurde.
Noch einmal mit gutem Grund aufm Lastwagen um den Borsigplatz zu fahren. Das wäre ziemlich lässig.
Jürgen Klopp vor seinem letzten Spiel als Trainer von Borussia Dortmund
Der Bezug zur Nordstadt ging mit dem Umzug in Richtung Strobelallee sukzessive verloren. „Hier im Norden wirkt es beinahe so, als ob der Verein sämtliche Verbindungen zur seiner Vergangenheit gekappt hat“, schrieb das Magazin schwatz-gelb.de zum 100-jährigen Jubiläum des „Wildschütz“ im Jahr 2009. Ein Blick in das Kicker-Archiv bestätigt, dass die Bindung zum Borsigplatz im Verlauf der Jahrzehnte immer flüchtiger wurde: „Die Begeisterung fand ihren Höhepunkt auf dem Borsigplatz, der Heimat des BVB“, hieß es nach der Deutschen Meisterschaft 1963, nach dem Pokalsieg 1989 sprach das Fachblatt nur noch von „der eigentlichen Heimat“ (auch wenn die Fans den Platz über Nacht schwarz-gelb angestrichen hatten).
Dafür gab mehrere Gründe, wie Annette Kritzler erklärt. Sie wohnt seit 1988 am Borsigplatz und bietet Führungen durch die Dortmunder Nordstadt an: „Der BVB trainierte bis 1974 an der Brackeler Schnellstraße, bis er sein Trainingsgelände aus finanziellen Gründen verkaufen musste“, sagt sie. Der Ort, an dem heute der Metro-Großmarkt steht, ist keinen Kilometer vom Borsigplatz entfernt. Neben dem bewährten Trainingsgelände verließ man auch den Hoeschpark, 1996 fand dort zum letzten Mal die Saisoneröffnung statt. „Kein Interesse, keine Verbundenheit, kein Bezug zur Heimat“, fasst Annette Kritzler die damalige Situation zusammen.
Die Wiederentdeckung des Borsigplatzes hatte ganz erheblich mit Jürgen Klopp zu tun
Die Rückkehr zum Borsigplatz wird von verschiedenen Quellen auf das Jahr 2011 datiert und mit der Meisterschaft im selben Jahr in Verbindung gebracht. Für Annette Kritzler begann die „Zeitenwende“, wie sie es nennt, bereits 2008. Damals fand der erste „Runde Tisch BVB und Borsigplatz“ statt, der „ins Leben gerufen [wurde], um die zahlreichen Aktivitäten und Initiativen am Gründungsort unseres Fußballvereins Borussia zusammen zu führen“. Seither ist viel passiert, unter anderem die Eröffnung des Soccer-Courts auf dem Max Michallek Platz. Und dass Jürgen Klopp 2008 seinen Dienst beim BVB antrat, war sicherlich auch kein Zufall.
Im Dortmunder Norden gab es eine Zeit, da gab der am Borsigplatz wohnende „Nationalitätenmix“ (111 Fußballorte im Ruhrgebiet, die man gesehen haben muss) den Istanbuler Vereinen den Vorzug. Heute zeigen die Menschen auf dem Borsigplatz, der nach dem Unternehmer August Julius Albert Borsig benannt ist, wieder offen ihre Sympathien für die Borussia.
Anschrift: Borsigplatz, 44145 Dortmund
Internet: Borsigplatz-Verführung: Führungen rund um den Borsigplatz
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