Günther Volker-Stadion, Celle

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Günther Volker-Stadion, Celle

Für die große Bühne ist hier alles vorhanden, und das nicht nur, weil die Herbstsonne das perfekte Scheinwerferlicht bietet: Eine riesige Haupttribüne, auf der man die auserzählten Anekdoten von den großen Spielen noch einmal erzählen könnte. So wie im 45 Minuten entfernten Hildesheim, wo sie 1961 den HSV und Uwe Seeler mit 3:0 besiegten und in den Europapokal einzogen. Einen steilen Hang hinter dem Tor, auf dem die Fans ihre größten Vereinshelden huldigen könnten, so wie sie es 1992 mit Jörg Sievers und Karsten Surmann nach dem Gewinn des DFB-Pokals in Hannover taten, das ebenfalls in einer Halbzeitlänge erreichbar ist. Oder einen heiligen Rasen, auf dem die Meistermannschaft ihre Ehrenrunde drehen könnte, so wie es 1967 in Braunschweig der Fall war, das man in einer Stunde erreicht. Und hier, in Celle, wäre man sogar noch näher dran als in Braunschweig, weil das Günther Volker-Stadion keine Laufbahn hat, sondern ein reines Fußballstadion ist.

Nur: Den ganz großen Fußball mit Pokalsiegen, deutschen Meisterschaften oder Europapokal-Abenteuern gab es in Celle nie. Und auch wenn die epischen Erfolge in Hannover lange, in Braunschweig sehr lange und in Hildesheim ganz lange vorbei sind, hat dieses Stadion in der Residenzstadt Celle alles, um Nostalgikerherzen zum Pochen zu bringen.

Nach fünfjähriger Bauzeit erfolgte die Einweihung des Platzes im Jahr 1928, auch wenn die damalige Spielstätte mit dem heutigen Stadion wenig gemein hatte und noch über Laufbahnen und eine Weitsprunggrube verfügte. Erst nach dem zweiten großen Krieg wurde 1951 „der Neubau der Sportanlage fertiggestellt“, wie Das große Buch der deutschen Fußball-Stadien berichtet, „ein reines Fußballstadion mit 10 000 Plätzen“. 1963 übernahm die Stadt Celle das Stadion, das sukzessive erweitert wurde: Das Sportheim wurde 1968 gebaut, die Tribüne auf der Gegengeraden steht in ihrer heutigen Form seit 1981 (Fassungsvermögen: Rund 1 500 Plätze), die Haupttribüne für bis zu 4 000 Menschen seit 1991. Als die Stehränge auf der sogenannten „Allerseite“ fertiggestellt wurden, bot das Günther Volker-Stadion 11 000 Zuschauerinnen und Zuschauern Platz; damit erreichte es in seiner Vita sein maximales Fassungsvermögen. Im November 1991 kam die elektronische Anzeigetafel hinzu, wiederum ein Jahr später wurde das Flutlicht bei einem Freitagabendspiel eingeweiht.   

Natürlich wünscht sich jeder die glorreichen Zeiten zurück.

Björn Wendlandt

Dass diese ganzen Maßnahmen überhaupt nötig wurden, hatte mit den Erfolgen des Celler Fußballs zu tun. Von 1968 bis 1973 spielte der TuS Celle in der damals zweitklassigen Regionalliga Nord und von 1990 bis 2000 drittklassig (erst in der Oberliga Nord, ab 1994 in der neugegründeten Regionalliga Nord). Namen wie Jürgen Rynio (186 Bundesliga-Spiele als Torwart, u. a. für Borussia Dortmund, den 1. FC Nürnberg und Hannover 96) und Franz Gerber (30 Tore in 93 Bundesliga-Spielen und Torschützenkönig in der 2. Bundesliga Nord) prägten den Verein an der Seitenlinie, auf dem Feld standen Leute wie der spätere Mainzer Bruno Akrapovic oder Vladan Milovanović, der nach seiner Zeit in Celle 49 Tore in 58 Spielen für Hannover schoss. Veränderungen gab es während dieser Zeit auch im Vereinswappen, aus dem TuS Celle wurde erst der TuS Celle FC (1992), später (für ein Jahr) der FC Celle. Der langjährige Vorsitzende Günther Volker, nach dem das Stadion seit 2003 benannt ist, hatte „auf lange Sicht die 2. Bundesliga im Visier“, wie das Das große Buch der deutschen Fußball-Stadien schreibt. Das Buch weiß aber auch, dass sie dort „nie ankamen“; wer in der 67 000-Einwohner-Stadt Bundesliga sehen wollte, musste zu den Volleyballern des MTV Celle oder zu den Handballerinnen des SVG Celle gehen.

Stattdessen ging es mit den Fußballern nach der Jahrtausendwende sukzessive bergab, einer Insolvenz inklusive. Von den 15 000 Menschen, die beim Zuschauerrekord des Günther Volker-Stadions zum Freundschaftsspiel gegen die Bayern kamen (Januar 1996, ermöglicht durch eine Zusatztribüne), findet heute nur noch ein Bruchteil den Weg an die Nienburger Straße. Die Spiele in der Kreisliga besuchen in dem Stadion, das noch für 4000 Menschen zugelassen ist, ca. 130 Zuschauerinnen und Zuschauer. Immerhin: Beim Stadtrivalen und Landesligisten MTV Eintracht Celle ist das Zuschaueraufkommen ebenfalls sehr überschaubar.

Klar, mehr Zuschauer wären natürlich schön, aber die Begeisterung in Celle ist leider so eine Sache. Immer wenn der TuS FC sportlich erfolgreich war, sind die Leute gekommen – sobald es aber nicht mehr so läuft, wird das Interesse schnell weniger.

Björn Wendlandt

Überlegungen, das Günther Volker-Stadion zu verlassen, existieren aber nicht. „Sicherlich gibt es Stimmen von außerhalb, die sich fragen, weshalb man als Kreisligist ein so großes Stadion nutzt“, erklärt mir Björn Wendlandt, der seit über 25 Jahren die Höhen und vielen Tiefen des Vereins miterlebt und sich beim TuS um die alten Medien (das Archiv) und die neuen (den Social Media Bereich) kümmert, „aber Fußball sollte immer noch eine Tradition haben und dazu zählt definitiv auch der Ort, wo man gegen den Ball tritt.“ Die finanzielle Belastung für den Verein beläuft sich jährlich auf einen höheren vierstelligen Betrag und ist über den Saisonetat gedeckt, der sich aus Sponsorengeldern, Eintrittseinnahmen, externen Veranstaltungen und Mitgliedsbeiträgen zusammensetzt. „Ausbesserungsarbeiten werden nach Möglichkeit von Mitgliedern übernommen“, sagt Wendlandt und schiebt hinterher: „Um Kosten zu sparen.“ Investiert wird aber auch noch ins Günther Volker-Stadion: In diesem Jahr wurde die in die Jahre gekommene, defekte Anzeigetafel durch eine digitale ersetzt, das Flutlicht wurde 2023 für 145 000 Euro modernisiert.

Vor fast 30 Jahren sang die Band „Tic, Tac, Toe“ in ihrem Lied „Funky“: „Und jetzt sitz‘ ich auf seinem Schoß, und kleine Träume werden groß, ich fühl mich funky!“ Und während ich auf der riesigen Haupttribüne sitze – die Das große Buch der deutschen Fußballstadien als „kleine, aber feine Tribüne“ bezeichnet –, fühle ich mich auch funky, weil das hier einfach ein wunderschönes Fußballstadion ist. Dafür muss ich mir nicht einmal vorstellen, wie das hier 1996 im Derby gegen Hannover 96 vor 11 000 Menschen gewesen sein muss.

Das Günther Volker-Stadion ist ein Sehnsuchtsort

Ich mag das Friedrich-Ebert-Stadion in Hildesheim, aber es ist so voller Werbung wie ein Fußball-Trikot aus Österreichs erster Liga. Und das Niedersachsenstadion in Hannover trägt zumindest bis 2027 den Namen des Massivhaus-Herstellers Heinz von Heiden und nicht den einer Vereinslegende, obwohl das mit Robert Enke so naheliegend wäre. In Celle ist dagegen alles noch so, wie es schon immer war. Das macht das Günther Volker-Stadion einerseits so liebenswert, andererseits ist das der Grund dafür, warum das Kaffeetälchen in Tiefenort in einem derzeit vieldiskutierten Ranking der „11FREUNDE“ vor Wembley landet: Weil diese alten Tempel eine Sehnsucht befriedigen, die in den modernen Arenen erst gar nicht aufkommen kann. Und dafür braucht es keine deutschen Meisterschaften, Pokalsiege oder Triumphe über den HSV.

Anschrift: Günther Volker-Stadion, Nienburger Straße 28, 29225 Celle

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