Die Suche nach einem Zeitzeugen, der hier einen epischen Moment der götterfunkensprühenden Freude erleben durfte, der auf den Steinstufen bittere Abstiegstränen vergoss oder der bei Minusgraden in dem zügigen Rund einfach nur fror wie mein Opa damals in Finnland, wird ins Leere laufen. Denn hier stand seit Ewigkeiten niemand mehr, um als Gästefan gegen Preußen Münster zu brüllen: „Die alte Stehtribüne im Westen ist derart heruntergekommen, dass sie seit Jahren gesperrt ist“, schreibt die 11FREUNDE in Ausgabe 223 und weiß: „Wer das sehen will, muss sich beeilen (vielleicht)“.
Der eingeklammerte Zusatz erfolgt nicht ganz grundlos. „Seit mehr als drei Jahrzehnten wird in Münster über ein neues Stadion diskutiert“, berichteten die Westfälischen Nachrichten im Juni 2022 und skizzierten ein Auf und Ab, das man so nur aus „Gute Zeiten, schlechte Zeiten“ kennt. Beim Aufstieg in die 2. Bundesliga wurde den Preußen ein neues Stadion versprochen – das war 1989. Die „aufflammende Begeisterung in der Uni-Stadt“ (Das große Buch der deutschen Fußballstadien) mit durchschnittlich über 10 000 Besucherinnen und Besuchern rechtfertigte einen Neubau, der erst an den hohen Kosten scheiterte, nach den Abstiegen 1991 sowie 1996 keine Nachhaltigkeit mehr besaß und im neuen Jahrtausend endgültig vom Tisch war, als ein Anwohner gegen den Preußen-Park (eine 22 500 Menschen fassende Arena mit Einkaufszentrum) erfolgreich Klage einreichte. Auch die Suche nach einer neuen Heimat blieb erfolglos.
Die Stehtraverse war Teil eines Vorreiterobjekts
Der ursprüngliche Standort, die Hammer Straße, ist seit den Zwanzigerjahren das Zuhause des Vereins. „Zum Zeitpunkt der Erbauung galt der Platz als eines der modernsten Fußballstadien Deutschlands“, schreibt die Vereinsseite und nennt einige Besonderheiten in der Geschichte des Stadions: „Am 1. November 1925 wurde vom jetzigen Standort des Preußenstadions die Begegnung Preußen Münster gegen Arminia Bielefeld als erste Liveübertragung eines Fußballspiels im deutschen Rundfunk gesendet“. Das Preußenstadion war auch das erste ausverkaufte Stadion in der Geschichte der Bundesliga (1. Spieltag der Saison 1963/64 gegen den Hamburger SV, rund 40 000 Menschen).
Die jahrzehntelangen Umbaupläne wurden im November 2008 mit der Überdachung der Gegengeraden und dem Abriss der Haupttribüne (endlich) in Gang gesetzt. Die Einweihung der neuen Haupttribüne erfolgte im August 2009. In den Folgejahren erhielt das Preußenstadion immer wieder Updates (elektronische Anzeigetafel 2010, Modernisierung der Flutlichtanlage 2011, neuer Rasen 2012), aber erst im Juni 2021 wurde der Abriss der Stehtraverse beschlossen, von der die 11FREUNDE bereits ein Jahr zuvor wusste: „Wer das sehen will, muss sich beeilen“.
Das Ding kannst du keinem zumuten!
Ansgar Brinkmann über das Preußenstadion
Die Sache mit dem eingeklammerten „vielleicht“ hat sich inzwischen auch erledigt. „Der lang ersehnte Abriss der Westtribüne hat begonnen“, schrieben die Westfälischen Nachrichten im obengenannten Artikel, das Foto dazu zeigt eine Horde von well-dressed Menschen mit Bauhelm, die symbolisch eine Schippe Dreck in Richtung Kamera werfen.
„Münster ist als einziges Bundesligastadion der Gründersaison in fast noch ursprünglicher Form erhalten“, heißt es im großen Buch der deutschen Fußballstadien aus dem Jahr 2010. Durch den Abriss der Westtribüne besitzt der Satz keine Gültigkeit mehr, bis 2027 soll das Stadion komplett umgebaut werden. Der Wehmut darüber hält sich in Grenzen: „Endlich geht es los“, sagte Vereinspräsident Christoph Strässer, Pressesprecher Marcel Weskamp präzisiert bei unserem Telefonat: „Wenn man mithalten will, kann Nostalgie keine Rolle spielen. Wir müssen mit der Zeit gehen.“
Anschrift: Stehtraverse im Preußenstadion, Hammer Straße 302, 48153 Münster
Internet: https://scpreussen-muenster.de/stadion/
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