Die 11 Freunde hatte genügend Stoff für ein Sonderheft und sicherlich hätte man auch noch ein zweites füllen können. „Spiele unseres Lebens“ heißt die Ausgabe, die im September 2020 von „vergessenen Krachern und epischen Schlachten“ berichtet. Von Werders legendären Europapokalnächten gegen Moskau, Anderlecht und Dynamo Berlin. Von dem Tag, an dem Alexander Schur in Frankfurt heiliggesprochen wurde. Oder von – und da kann man rot-weißes Herz nicht aufhören zu lachen – Leverkusens 0:2-Trauma in Unterhaching. Nicht nur für Spieler und Fans, auch für Stadien gibt es das eine Spiel. Für das Friedrich-Ebert-Stadion in Hildesheim ist das ein Spiel gegen den Hamburger SV.
Nach dieser Begegnung im November 1961 bezeichnete Uwe Seeler das Friedrich-Ebert-Stadion als „ein hartes Pflaster für jeden Favoriten“. Seeler war damals 25 Jahre alt und hatte mit seinem HSV 0:3 beim VfV Hildesheim verloren. Der Gastgeber wurde am Ende der Saison Dritter in der damals erstklassigen Oberliga Nord, qualifizierte sich für den europäischen Wettbewerb und erlebte die beste Zeit seiner Klubhistorie. Mit „übertriebene[r] Härte“ (Kicker) und einem Stadion, das als schier uneinnehmbare Festung galt.
Die Hildesheimer Heimstärke ist gefürchtet in der Oberliga Nord
Die NDR-Dokumentation »Längst vergessene Fußballhochburgen«
Es ist nicht so, dass „Tante Hilde“ danach in der Versenkung verschwunden wäre. Bis zur Einführung der Bundesliga blieb der „Verein für Volkssport“ Oberligist und spielte danach bis 1967 in der zweithöchsten Spielklasse, der Regionalliga Nord. Die fünfte Liga ist bis heute die unterste Spielklasse, die der Verein jemals sah. Die Heimspielstätte war und ist dabei immer das Friedrich-Ebert-Stadion in den Johanniswiesen.
„Schon 1914 wurde in der Domstadt ernsthaft über einen Stadionbau nachgedacht“, schreibt Das große Buch der deutschen Fußballstadien. Der Erste Weltkrieg verhinderte, dass die Umsetzung erst 1929 in Angriff genommen werden konnte. Ein Jahr später erfolgte am 5. Oktober 1930 die Einweihung der Anlage, die den Namen Friedrich Eberts tragen sollte. Der SPD-Politiker war fünf Jahre zuvor verstorben, maßgeblich für die „politische Etablierung der Arbeiterbewegung“ (Orte der Demokratiegeschichte) und damit ein Vorbild derer, die das Stadion in 15 000 freiwilligen Arbeitsstunden erbauten: Die Arbeiterschaft und Arbeitersportbewegung.
Die wurde mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten zerschlagen. Das Stadion wurde fortan von der Wehrmacht und dem bürgerlichen Verein Hildesheim 07 genutzt. „Unser lieber Verein wurde aufgelöst. Der schöne Ebert-Platz wurde uns genommen. Alle Arbeit vergebens“, zitiert Das große Buch der deutschen Fußballstadien den Hildesheimer Arbeitersportler Otto Demitz.
Der FC Bayern gastierte 1987 im Friedrich-Ebert-Stadion
Nach dem Krieg erhielt die Anlage ihre alten Namen zurück. Anfangs wurde es an die gewachsenen Ansprüche in der Oberliga Nord angepasst, später mehrfach modernisiert: Ab 1972 wurde das Klubheim sukzessive erweitert, 1977 die Tartanbahn überholt, Ende der Achtzigerjahre die Stehränge neugebaut und nach der Jahrtausendwende neue Zäune, ein Spieler-Tunnel und eine Drainage installiert. Als sich der SV Werder Bremen und der FC Bayern München im Februar 1987 (und damit in der Hochphase der Feindschaft zwischen Willi Lemke und Uli Hoeneß) zugunsten eines Benefizspiels duellierten, da taten sie dies im Friedrich-Ebert-Stadion.
„Niemand kann es dem Hildesheimer Fußballfan übel nehmen“, schrieb der Kicker im Mai 1979, „wenn er dann und wann in Nostalgie verfällt.“ Und auch wenn das Friedrich-Ebert-Stadion in einem Atemzug mit dem Bökelberg in Mönchengladbach und Real Madrids Estadio Santiago Bernabéu genannt werden müsste – in Hildesheim kam es 1962 bei der Partie gegen Hannover 96 zu einem Pfostenbruch –, natürlich erinnerte der Kicker in seinem Artikel an das 3:0 gegen den Hamburger SV. Das Spiel, das nicht nur aufgrund des bis heute bestehenden Rekords von 26 000 Zuschauerinnen und Zuschauern als das größte der Vereinsgeschichte gilt.
Auf den Bäumen gab es kaum noch einen freien Ast.
Würdige Ehepaare im tadellosen Sonntagsstaat krochen auf den Knien durch kleine Zaunlöcher.
Auszüge aus der lokalen Presse
Das Friedrich-Ebert-Stadion war an diesem 5. November 1961 so voll, dass selbst manche Spieler nicht rechtzeitig eintrafen: „Das hat mich 100 Mark gekostet, mit Werner Krone zusammen in die Mannschaftskasse, weil wir zehn Minuten zu spät gekommen sind“, erzählte Torhüter Werner Gerstle in der NDR-Dokumentation Längst vergessene Fußballhochburgen, „oben auf dem Dach der Tribüne standen die Kameraleute vom Fernsehen, und in den Bäumen saßen Zuschauer, die keine Eintrittskarte bekommen hatten, das war der Wahnsinn!“, erinnerte sich Uwe Seeler noch Jahre später in der Hildesheimer Allgemeinen. Vermutlich deshalb, weil er selten so abgemeldet war wie an diesen Tag: Der hat „wenig Sonne gesehen“, erklärt mit Herbert Helfenbein einer, der selbst dabei war.
Vielleicht hätte sich Seeler Hilfe in Mostar suchen sollen. Im Intertoto-Cup verlor der VfV Hildesheim in Mostar mit 1:9. Kuschenberg hatte Seeler abgemeldet, aber mit einer Eigenart von Mostars Mittelstürmer kam er nicht klar: Sein Gegenspieler spielte barfuß. Wolfgang Träger, damals selbst Mittelstürmer, im NDR: „Der hat uns drei Stück reingelegt.“
Adresse: Friedrich-Ebert-Stadion, An der Pottkuhle 1, 31139 Hildesheim
Internet: https://www.vfv06.de/Seite/396/Friedrich-Ebert-Stadion-F-E-S
Link-Tipp:
Die im Artikel erwähnte NDR-Dokumentation „Längst vergessene Fußballhochburgen“ thematisiert auch die Geschichte von Göttingen 05 und dem HSV Barmbek-Uhlenhorst. Sie ist in der NDR-Mediathek zu finden.
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