„Papa“, sagt der kleine Junge im Bremer „Wuseum“ zu seinem Vater, „Werder war ja früher richtig gut!“ Bevor der Vater antwortet, vergehen einige Sekunden. Dann sagt er mit Wehmut in seiner Stimme: „Oh ja, das waren sie.“
Vereinsmuseen bringen die Verklärung der Zeit mit sich, das ist irgendwie ihr Job. Auch der SV Werder Bremen hat eine „Kultstätte im Weserstadion, in der sich der sonst so nordisch-zurückhaltende Verein ein bisschen selbst feiert“, wie der Kicker schreibt. Nur zu verständlich, denn niemand möchte aufwendig aufbereitete Abstiege im Hochglanzformat sehen, wenn man für einige Stunden an die Zeiten erinnert werden kann, in denen der FC Bayern noch nicht zwölf Mal hintereinander die Meisterschaft gewann.
Der kleine Junge und sein Vater sitzen auf roten Stadionstühlen, als sie in diese Zeit gebeamt werden. Ein Bildschirm führt sie zurück zu Johan Micoud, der die Spitze der Werder-Raute bildete, bis er von Diego abgelöst wurde, auf den Mesut Özil folgte. Sie fütterten Ailton, Miroslav Klose oder Claudio Pizarro mit Vorlagen, und wenn man ehrlich ist, entstehen bei diesen Namen automatisch Bilder im Kopf und man braucht gar kein Wuseum.
„Pico“ ist im Wuseum eine Attraktion für sich
Für jeden anderen Werder-Moment ist es unverzichtbar. „Wir präsentieren im Wuseum einen guten Querschnitt der Vereinsgeschichte seit der Gründung 1899“, sagt Kuratorin Marika Diesing der Seite spot-bremen.de. Manche Geschichten werden von Exponaten erzählt, die man gar nicht kennen kann, wie die ersten Fußballschuhe des damals vierjährigen Torsten Frings. Andere hat man vielleicht wieder vergessen, wie die Heidschnucke „Pico“, die „bis in die 1980er Jahre hinein“ (Neue Osnabrücker Zeitung) das Maskottchen von Werder war. Ihre Kuscheltierversion gefällt mir, weil sie erstaunliche Ähnlichkeit mit „Hennes“ vom 1. FC Köln aufweist, süchtig macht mich der präparierte Kopf der „genügsame[n] Schafrasse“, vor dem ich so lange stehenbleibe, bis er mich anzublöken scheint, in einen endgültigen Rauschzustand versetzt mich aber der Pullunder, der aus Picos Haaren gestrickt wurde. Und dann gibt es die Exponate, die man vergessen möchte, wenn man sich als HSV-Fan ins Wuseum verirrt und die „Papierkugel für die Ewigkeit“ (Kicker) entdeckt. „Welches Ausstellungsstück das besonderste ist, kann ich gar nicht sagen. Das überlasse ich jedem Besucher und jeder Besucherin selbst“, so Diesing in dem obengenannten Interview. Die Exponate befinden sich in Vitrinen, die – wie in den meisten Vereinsmuseen – chronologisch sortiert sind.
Dass das Wuseum im Dezember dieses Jahres sein zwanzigstes Jubiläum feiert, lässt sich an der ein oder anderen Stelle nicht verbergen. Die hochmodernen Museen verfolgen heute den Anspruch, immersiv zu sein – davon ist das Wuseum so weit entfernt wie Werder von der Meisterschaft. Und während die Bayern in ihrem Museum Änderungen offenbar in Echtzeit vornehmen, endet die Werder-Historie, die im Wellenbrecher schön inszeniert ist, vor zwei Jahren.
„Carola“ liegt im Wuseum unter der Erde
Auf der anderen Seite steht dem SV Werder mit 400 Quadratmetern gerade mal ein Achtel der Fläche zur Verfügung, die der FC Bayern für seine Ausstellung nutzen kann. Vielleicht wurde die Kabel-Muffe „Carola“, deren Beschädigung zu einem Flutlichtausfall führte und den Auftakt der Bundesliga-Saison 2004/2005 über eine Stunde verzögerte, deshalb in den Boden eingelassen – vielleicht gehören Kabel-Muffen aber auch einfach unter die Erde. Und nur weil Immersivität en vogue ist, bedeutet das nicht, dass jedem Museum die Umsetzung gelingt: „Manches bietet eher oberflächliche Attraktion statt inhaltlichen Mehrwert“, urteilt der Kunst- und Kultur-Blog Musermeku.
„Der Fußballfan schwelgt gerne in Erinnerungen. Früher war bekanntlich alles besser“, schrieb der Kicker im Dezember 2007. Dass es nicht immer so war und dass der SV Werder zu Beginn der Siebziger mit der „Millionenelf“ nicht nur floppte, sondern rasenballesk Vereinsfarben und Trikotdesign änderte, ist auch Teil des Wuseums. Die 30 000 Interessierten, die jährlich ins Wuseum strömen, müssen sich also auch mit den weniger pittoresken Zeiten auseinandersetzen. Für den kleinen Jungen und seinen Vater bedeutet das: Mit der Gegenwart.
Anschrift: Wuseum im Weserstadion, Franz-Böhmert-Straße 1, 28205 Bremen
Schreibe einen Kommentar