Löwenstüberl, München

„Wenn man in München aufwächst, hat man nur zwei Möglichkeiten: Rot oder Blau. Für mich kam nur Sechzig in Frage, weil die Löwen eine Familie sind, Bayern dagegen ist eine Firma.“ Besucht man in München das Trainingsgelände des TSV 1860 mit dem „Löwenstüberl“ und vergleicht die Vereinskneipe mit der Anlage des FC Bayern an der Säbener Straße, dann kann man Wirtin Christl Estermann nur schwer widersprechen. Das Löwenstüberl ist eine kleine Gaststätte mit dem Charme einer Dorfkneipe, in der jeder jeden kennt.

Die rüstige Gabi hat heute jede Menge alte Trikots der Sechzger dabei. Sie setzt sich zu den Menschen an die Tische und verkauft die Leibchen für zehn Euro – weil beim Flock hinten „Edelfan Gabi“ draufsteht. Am Tisch nebenan findet sie eine Käuferin. Diese hat gerade Probleme mit ihrer fünfzehnjährigen Tochter Michelle. Die drei Männer schräg gegenüber interessiert das nicht. Sie regen sich erst über den FC Bayern auf, später über die Politik und dann darüber, „dass am Ende immer der kleine Mann bezahlt“. Themen der tiefsten Provinz. Dabei ist man mitten in München, nur acht Minuten Fußweg von einem der reichsten Vereine der Welt entfernt.

Zur Auswahl: Alles, was man in einen Schweinedarm pressen kann.

Der »Münchner Merkur« über die Speisenauswahl im »Löwenstüberl«

Die „Mischung aus gemütlicher Bierstube, Vereinsmuseum und Bahnhofsmission“ (Bolzen-Online) gehört nicht nur den Fans, auch Spielern, Trainern und Funktionären der „Blauen“ bietet der schrullige Flachbau eine Heimat. Früher fanden hier sogar die Pressekonferenzen statt. Und während Werner Lorant mit den Medien über die Spieler herzog, saßen die am Tisch nebenan und schlürften ihre Hühnersuppe, wie Stürmerlegende Bernhard Winkler noch weiß. Florian Hinterberger, der bis 1992 bei den Löwen spielte und danach für den Verein arbeitete, holte sich hier bis zu seiner Entlassung sein tägliches Mittagessen.

Beinahe hätten sie sich allesamt eine neue Seelsorgestation suchen müssen. Das Löwenstüberl passte nicht mehr ins Bild des Vereins, wenn man der Münchner Tagespresse aus dem Sommer 2012 Glauben schenkt. „Sie wollten es so machen wie bei den Bayern, mit Selbstbedienung. Aber das lässt nicht der Löwe nicht gefallen!“, sagt Christl Estermann dem (mittlerweile eingestellten) Internetportal Bolzen-Online.

Christl Estermann schloss 2018 das Löwenstüberl ab

„Es muss eine Weiterentwicklung geben, aber alles zu seiner Zeit“, äußerte sich der damalige Präsident Dieter Schneider gegenüber dem Merkur. Dieter Schneider ist schon wieder Geschichte bei den Sechzgern. Wenn man seine Worte richtig deutet, dazu bedenkt, dass Christl Estermann im Sommer 2013 ihren siebzigsten Geburtstag feiern durfte, werden zu der des Löwenstüberl nicht mehr allzu viele Jahre hinzukommen.

Es waren noch genau fünf weitere Jahre, Ende 2018 schloss das Löwenstüberl seine Pforten. Inzwischen gibt es aber einen neuen Pächter.

Anschrift: Grünwalder Straße 114, 81547 München

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