Der Weg zum Dreisamstadion, Freiburg

Wenn ich hier leben und auf dieses Stadion verzichten müsste, wäre ich schon irgendwie traurig. Dieses viel zu kurze Spielfeld, das übereinandergestapelte Containerdorf, der „Rettig-Tower“ zwischen der Haupt- und der Nordtribüne und die tannenbegrünten, wie aus der Werbung gepellten Berge des Schwarzwalds, die eine Hintergrundkulisse bilden wie in einem Heimatfilm mit dem jungen Roy Black.

Im Oktober 2021 hat der SC Freiburg sein neues Zuhause bezogen, das nicht mehr im Osten, sondern im Westen der Universitätsstadt, eine gute Auto-Viertelstunde vom alten Stadion entfernt liegt. Christian Streich musste im letzten Drittel seiner rund zwölfjährigen Amtszeit 30 statt zehn Minuten mit dem Fahrrad zurücklegen, um zu seinem Arbeitsplatz zu kommen.

Das Dreisamstadion fasste 10 000 Plätze weniger als das neue Stadion

34 000 Menschen können nun die Begegnungen des Sportclubs sehen (vorher 24 000) und auch sonst erfüllt das Europa-Park-Stadion die Anforderungen, denen das Dreisamstadion nicht mehr gerecht wurde. Parkmöglichkeiten sind nun etwas üppiger vorhanden (der SC berichtet auf seiner Seite von 2 100 kostenpflichtigen Stellplätzen), aber in Freiburg fährt man mit dem Rad und deshalb bietet das neue Stadion 3 700 Fahrradstellplätze.

Bis zum Umzug hatte man die Situation im Dreisamstadion bestmöglich ausgereizt. „Stück für Stück wurde es über Jahrzehnte immer wieder umgebaut, um den Anforderungen des Profifußballs zu genügen“, heißt es auf Dreisamstadion.org. Nach dem Bundesliga-Aufstieg 1993 wurde die Gegengerade um einen Oberrang und die Nordseite um drei weitere Stufen (sowie eine Anzeigetafel) erweitert, ein Jahr später folgte der Umbau der Haupttribüne, der eine Steigerung der Kapazität um 3 000 auf nun 7 000 Plätze zur Folge hatte. Im Dezember 1994 wurde die Errichtung der Hintertortribüne auf der Südseite genehmigt, nach deren Fertigstellung das Fassungsvermögen auf 24 000 stieg. Auf diese Weise entstand der Charme des Zusammengeklöppelten, den das Dreisamstadion auszeichnet und den Das große Buch der deutschen Fußballstadien als „eine Art Baukastensystem“ bezeichnet. Einen weiteren Ausbau verhinderten die Klagen der Anwohnerinnen und Anwohner.

Fans des SCF machten den Weg zum Dreisamstadion zu einem besonderen Fußballort

Einen nicht unwesentlichen anderen Teil des Zaubers macht eine andere Sache aus. Als SCF-Archivar Uwe Schellinger 2022 die Fans nach besonderen Freiburger Fußballorten fragte, wurde u. a. der Weg zum Stadion genannt – nicht der erste auf 11km.de, auch in Nordhausen und Karlsruhe erhebt man ihn zu einer Kunstform. Also parken wir am Ende des Sandfangwegs und folgen den Schildern in Richtung Stadion. Auf dem rund ein Kilometer langen Fußweg laufen wir an jungen Menschen vorbei, die im Sand Volleyball spielen, werden von Fahrradfahrern und Läuferinnen überholt und passieren Orte der Freiburger Sportgeschichte, während zu unserer Linken das Wasser der Dreisam plätschert.

Der erste Platz des Sportclubs liegt aber nicht auf diesem Weg, er lag im Stadtteil Stühlinger (1912 bis 1917). Danach zog der Verein dorthin, wo heute die Alte Stadthalle und das Einkaufszentrum ZO stehen: „Nach dem Ende des Ersten Weltkriegs spielte der Sport-Club als Fußballabteilung der Freiburger Turnerschaft 1844 auf dem Sportgelände an der Schwarzwaldstraße“, erklärt Das große Buch der deutschen Fußballstadien. Es folgten einige Jahre im Winterer-Stadion, ehe der SC nach dem Zweiten Weltkrieg kurzfristig im Möslestadion (in dem man nach einem Zusammenschluss mit der Freiburger Turnerschaft als VfL Freiburg auflief) landete, bis man 1946 den Hindenburgplatz bezog. Der grenzt unmittelbar an das Stadion an, das im September 1955 eröffnet wurde und für fast sieben Jahrzehnte das Zuhause des Sportclubs sein sollte.

Der Freiburger FC war lange Zeit die Nummer 1 in der Stadt

An dem späteren, zusammengeklöppelten Charakter des Dreisamstadions schien man von Anfang an zu arbeiten: „Auf dem planierten Trümmergelände zwischen Hindenburgplatz und Strandbad legte der Klub ein Hauptspielfeld und einen Nebenplatz an, die Umkleiden befanden sich in einer städtischen Baubaracke“, schreibt Das große Buch der deutschen Fußballstadien und berichtet von drei Stehrängen, die sich auf der Strandbadseite befanden. Der Einweihung des Vereinsheims im Jahr 1964 folgte 1970 die Eröffnung der 480 Menschen fassende Tortribüne. Ins Dreisamstadion passten nun 10 000 Zuschauerinnen und Zuschauer, „mehr Fassungsvermögen war nicht angebracht, denn der Sport-Club spielte seit 1950 durchgehend in der Amateurliga Südbaden.“ Die Nummer eins in der Stadt war der Deutsche Meister von 1907, der Freiburger FC.

Das änderte sich in den Siebzigerjahren. Unter Achim Stocker, der 1972 erster Vorsitzender wurde, bewegte sich der Sport-Club erstmals auf Augenhöhe mit dem FFC (der die Dienste von Stocker zuvor abgelehnt hatte), überholte den Verein tabellarisch am Ende des Jahrzehnts und übernahm in der Mitte der Achtzigerjahre endgültig die Vorherrschaft im Breisgau. Das Stadion wuchs in dieser Zeit sukzessive mit: Die Stehränge der Gegengeraden wurden auf 15 Stufen erweitert, in den Achtzigern wurde die Haupttribüne errichtet, ehe mit dem ersten Aufstieg in Liga 1 im Jahr 1993 unter Volker Finke der oben skizzierte, großangelegte Um- und Ausbau begann.

SaisonSC FreiburgFreiburger FC
1972/737. in der 1. Amateurliga Südbaden15. in der Regionalliga Süd
1973/746. in der 1. Amateurliga Südbaden17. in der Regionalliga Süd
1974/752. in der 1. Amateurliga Südbaden6. in der 1. Amateurliga Südbaden
1975/766. in der 1. Amateurliga Südbaden3. in der 1. Amateurliga Südbaden
1976/772. in der 1. Amateurliga Südbaden1. in der 1. Amateurliga Südbaden
1977/781. in der 1. Amateurliga Südbaden13. in der 2. Bundesliga Süd
1978/7915. in der 2. Bundesliga Süd13. in der 2. Bundesliga Süd
1979/806. in der 2. Bundesliga Süd9. in der 2. Bundesliga Süd
1980/817. in der 2. Bundesliga Süd10. in der 2. Bundesliga Süd
1981/8215. in der 2. Bundesliga Süd19. in der 2. Bundesliga Süd
1982/838. in der 2. Bundesliga Süd6. in der Oberliga BW

Als auf der linken Seite eine Brücke über den Fluss führt, eine kleine Straße nach rechts abgeht und vor uns ein Baum steht, der an den Mordfall Maria Ladenburger erinnert, liegt das Stadion direkt vor uns. Es ist Sonntagnachmittag, bestes Wetter und die Sonne erhält Unterstützung vom Flutlicht des Dreisamstadions. Der DFB will das so, er denkt nachhaltig. Vielleicht ist das in Freiburg aber auch kein Problem, denn „das Stadion des SC Freiburg war das erste komplette Solarstadion in Deutschland. Auf 2.200m² Solarfläche werden in der Arena 275 000 Kilowattstunden Strom per anno produziert und damit der Ausstoß von ca. 136 Tonnen CO2 pro Jahr vermieden“, wie Visit.freiburg.de erklärt.

Die Flutlichtmasten des Dreisamstadions erzählen ihre eigene Geschichte, sie waren die ersten einklappbaren Masten der Republik. Dies sollte die Reparatur und Wartung erleichtern, war aber nach dem Ausbau der Tribünen irgendwann nicht mehr möglich. Sie leuchten, weil die Bundesliga-Frauen des SC Freiburg heute hier spielen, auch die U23 läuft weiterhin an der Schwarzwaldstraße auf. Der Verein hat sein Zuhause verlassen, aber nicht seine Heimat vergessen. Und das bedeutet, dass es gar keinen Grund zur Larmoyanz gibt, denn auf das Dreisamstadion muss in Freiburg auch zukünftig niemand verzichten.

Anschrift: Der Weg zum Dreisamstadion, Sandfangweg, 79102 Freiburg

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