FC St. Pauli-Museum, Hamburg

„Also“, holt der Mann an der Kasse aus, „Pokale werden sie hier nicht finden“. Die beiden Menschen, die in der Schlange vor uns stehen und ihre Eintrittskarten für das Museum des FC St. Pauli kaufen möchten, gucken erst sich selbst irritiert an, dann den Mann an der Kasse, bis der präzisiert: „Das liegt daran, dass der Verein keine Erfolge vorweisen kann“. Das Eis ist an dieser Stelle gebrochen, das, was im Internet angekündigt wird, scheinen sie beim FC St. Pauli ernst zu nehmen: „Ein Verein wie kein anderer braucht ein Museum wie kein anderes.“

Die Welt des FC St. Pauli, die sich einem eröffnet, wenn man durch die Glastür geht, ist tatsächlich eine andere. Sie ist nicht glitzernd oder verherrlichend und sie ist auch keine Anhäufung von jedwedem Vereinskrempel. Die museale Welt des FC St. Pauli ist vor allem eins: sie ist politisch. „Von 1986 bis 1991 erfasste ein Kiezbeben den Stadtteil St. Pauli und seinen Fußballverein“, steht auf einer Tafel im Eingangsbereich, „es geht um Fußball und was er für die Gesellschaft sein kann.“

Das FC St. Pauli-Museum stellt die gesellschaftspolitische Entwicklung von Verein und Stadtteil in den Mittelpunkt

Die Ausstellung gibt zuerst einen sehr kurzen Einblick in die Prähistorie des Kiezbebens. Erzählt wird unter anderem „Die Zeit des Fleisch-Legionäre“ zwischen 1945 und 1953, die „technisch vielleicht beste Mannschaft Deutschlands“, für die sogar der spätere Nationaltrainer Helmut Schön zwei Spiele bestritt. Diesen kurzen Episoden genügt jeweils eine Tafel, sie machen deutlich, dass es eine Zeit vor dem Verein gab, dessen braun-weiße Kultur so politisch geprägt sein sollte wie bei keinem anderen Klub.

Die entsteht in den Achtziger- und Neunzigerjahren. Der FC St. Pauli spielt in der dritten Liga und trägt die Bürde von drei Millionen Mark Schulden mit sich herum. „Zur Krise im Verein gesellt sich der Verfall seines Viertels“, berichtet eine Tafel im Museum. Konkret heißt das: „In der Schanze, im Karoviertel und im Süden St. Paulis bröckeln die Häuser“. Zwölf davon, die an der Hafenstraße liegen, werden im Oktober 1981 von Jugendlichen besetzt, sie argumentieren zum Missfallen der Wohnungsbaugesellschaft SAGA: „Ein Wohnhaus ist kein Abrisshaus!“ „Mehrfach handeln Stadt und Hausbewohner befristete Pachtverträge aus“, heißt es in einem Beitrag des NDR, „doch 1987 scheitern die Gespräche“. Es entsteht ein Konflikt, der zum Teil „bürgerkriegsähnliche Zustände“ zur Folge hat. Der Stadtteilverein wird von dieser Genese prägt: „Als die Bewohner der besetzten Häuser den FC St. Pauli für sich entdecken, bringen sie eine völlig neue Art der Fankultur mit: politisch, kreativ und gegen Rechts.“

Dass der Kiezklub 1988 in die 1. Bundesliga aufstieg, welche Rolle das Privatfernsehen bei der Imageförderung einnahm und wer „Tattoo-Theo“ und „St. Pauli-Willi“ sind, erklärt das Museum des FC St. Pauli, das in der Gegengerade in unmittelbarer Nähe zum Fanladen angesiedelt ist.

Im Museum des FC St. Pauli sucht man den Schuh von Niko Patschinski vergeblich

Im Umkehrschluss heißt das aber auch, dass es auf den über 600 Quadratmetern keinen Platz für den Schuh von Niko Patschinski gibt, mit dem der FC St. Pauli 2002 zum Weltpokalsiegerbesieger geschossen wurde. Oder dass die Eckfahne, die Benedikt Pliquett nach dem Derbysieg 2011 malträtierte, vermutlich noch im Besitz des HSV ist – zumindest steht sie nicht im Museum des FC St. Pauli. Im Boden sind zwar Vitrinen mit Devotionalien eingelassen und Poster des Ausstatters PUMA aus den Achtziger- und Neunzigerjahren zieren die Wände, aber auf die unvermeidliche Folklore, die so zu einem Vereinsmuseum gehört wie die Penunzen in den Stripclub, verzichtet man beim Kiezklub gänzlich.

Dagegen findet man ganz viel Liebe zum Detail und viele gute Ideen, die der Ausstellung ein Alleinstellungsmerkmal verpassen. Einerseits sind das Kleinigkeiten, beispielsweise als TV-Ständer eingesetzte Astra-Bierkästen oder die Möglichkeit, die an der Weinbar erworbenen Getränke mit ins Museum zu nehmen. Andererseits steckt in vielen Exponaten unendlich viel Leidenschaft: Sowohl das alte als auch das neue Stadion wurden im Maßstab 1:100 nachgebaut. Für 49 Euro kann man Teil des Ganzen werden, indem man seine eigene, individuell bemalte Figur im Miniatur-Millerntor als „symbolische Dauerkarte“ einziehen lässt. Dazu gibt es immer wieder Inseln, die vereinzelte Geschichten wie die vom Nicht-Bau des Sport-Domes erzählen. Der eigentliche USP liegt aber bei den USP: Der Ultragruppierung wird in einer Sonderausstellung viel Platz eingeräumt, nicht nur auf Tafeln, sondern auch im Choreo-Raum, in dem man seine eigenen Puschel aus Zeitungspapier basteln kann.

Der Battle der Museumskonzepte

Am Ende der Ausstellung landen wir wieder bei dem Mann an der Kasse. Bei ihm bestellen wir zwei Getränke und reden in der Weinbar, die zum Museum gehört, über das, was wir in den letzten zwei Stunden konsumiert haben. „Kaum Stanislawski, kaum Fabian Boll, ich glaube schon, dass es Fans geben wird, denen das fehlt“, sagt meine Frau. „Da gehen doch fast völlig die Momente ab, mit denen man sich selbst identifizieren kann“.

Ich bin dagegen froh, dass wir einen Gegenentwurf zum klassischen Museumskonzept gesehen haben. Es ist völlig schlüssig, dass Vereinsmuseen chronologisch vorgehen und ihre Erfolge exponieren. Dabei wird die Vergangenheit oft verklärt. Das Schmierfett in den goldbehangenen Zeitmaschinen sind die Erlebnisse von göttergleichen Vereinsheroen, die schier unmögliche Aufholjagden möglich machten und immer so guten Fußball spielten, dass sie überhaupt nie in die Situation kamen, eine Aufholjagd einleiten zu müssen. Auf Sankt Pauli gibt es seit Januar 2020 ein Vereinsmuseum, das einen differenzierten Ansatz gewählt hat. Es ist ein Museum wie kein anderes.

Anschrift: FC St. Pauli Museum, Harald-Stender-Platz 1, 20359 Hamburg St. Pauli (Das Museum befindet sich in der Gegengerade, direkt neben dem Fanladen)

Internet: https://www.fcstpauli-museum.de/

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